Ehrensache
fest, dass die Seife
noch schmutzig war, wusch sie ab und spülte das Becken ein zweites Mal aus. Über der Badewanne
hing ein Handtuch. Doch als er sich die Hände daran abtrocknete, merkte er, dass es kein
Handtuch, sondern eine Fußmatte war. Das richtige Handtuch hing an einem Haken an der Tür. Ganz
ruhig, John, ermahnte er sich. Doch das half nichts. Geselligkeit war eine weitere Fähigkeit, die
er nie so ganz erlernt hatte.
Unten spähte er vorsichtig durch die Tür.
»Nur hereinspaziert.«
Holmes hielt ihm ein Glas Whisky hin. »Wohl bekomm's. Cheers.«
»Cheers.«
Sie tranken, und Rebus fühlte sich gleich besser.
»Das Haus zeig ich Ihnen später«, sagte Holmes. »Setzen Sie sich.«
Das tat Rebus und blickte sich um. »Ein echter Holmes im eigenen Reich«, bemerkte er. Aus der
Küche, die durch eine weitere Tür vom Wohnzimmer abzugehen schien, roch es nach köstlichem Essen
und das Geklapper von Geschirr war zu hören. Das Wohnzimmer war annähernd quadratisch. In einer
Ecke stand ein Tisch, der für drei Personen gedeckt war, in einer anderen ein Sessel, ein
Fernseher in der dritten und eine Stehlampe in der vierten.
»Sehr hübsch«, bemerkte Rebus. Holmes hatte sich auf ein zweisitziges Sofa gesetzt, das an einer
Wand stand.
Hinter ihm war ein großes Fenster, durch das man in den Garten hinter dem Haus sehen konnte. Er
zuckte bescheiden die Schultern.
»Uns reicht es«, sagte er.
»Das tut es bestimmt.«
Nell Stapleton kam mit großen Schritten ins Zimmer.
Imposant wie immer, wirkte sie beinah zu groß für ihre Umgebung, wie Alice im Wunderland nach dem
»Iss- mich«-Kuchen. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und lächelte Rebus
zu.
»Hallo.«
Rebus war aufgestanden. Sie ging auf ihn zu und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
»Hallo, Nell.«
Nun stand sie vor Holmes und nahm ihm sein Glas ab.
Sie hatte Schweißperlen auf der Stirn und war ebenfalls leger gekleidet. Sie trank einen Schluck
Whisky, atmete geräuschvoll aus und gab Holmes das Glas zurück.
»In fünf Minuten ist alles fertig«, kündigte sie an.
»Schade, dass Ihre Bekannte nicht mitkommen konnte, John.«
Er zuckte die Schultern. »Sie hatte schon was vor. Irgendeine Dinnerparty unter Medizinern. Ich
war froh, dass ich eine Entschuldigung hatte, da nicht hin zu müssen.«
Ihr Lächeln wirkte ein wenig aufgesetzt. »Na schön«, sagte sie, »dann lass ich euch noch ein
bisschen allein, damit ihr über das plaudern könnt, worüber Jungs meistens so reden.«
Dann war sie fort. Der Raum wirkte plötzlich leer.
Scheiße, was hatte er jetzt schon wieder gesagt? Als er sich mal mit Patience Aitken über Nell
unterhalten hatte, hatte Rebus versucht, die richtigen Worte zu finden, um sie zu beschreiben.
Doch irgendwie traf keines der Worte genau den Punkt. Herrisch, launisch, lebhaft, zuverlässig,
groß, intelligent, ganz schön was dran...
Ganz gewiss entsprach sie nicht dem Stereotyp einer Universitätsbibliothekarin. Was Brian Holmes
ganz recht zu sein schien. Lächelnd betrachtete er den Rest von seinem Drink im Glas.
Dann stand er auf, um nachzuschenken - was Rebus jedoch ablehnte -, und kam stattdessen mit einem
Ordner zurück.
»Hier«, sagte er.
Rebus nahm den Ordner. »Was ist das?«
»Sehen Sie selbst.«
Es waren größtenteils Zeitungsausschnitte, außerdem ein paar Zeitschriftenartikel und
Pressemitteilungen... alle über den Abgeordneten Gregor Jack.
»Wo haben Sie...?«
Holmes zuckte die Schultern. »Reine Neugier. Als ich wusste, dass ich in seinen Wahlkreis ziehen
würde, wollte ich einfach mehr über ihn wissen.«
»Über letzte Nacht scheinen sich die Zeitungen ja auszuschweigen.«
»Vielleicht hat man ihnen einen Maulkorb verpasst.«
Holmes klang skeptisch. »Oder sie warten den richtigen Moment ab.« Obwohl er sich gerade gesetzt
hatte, sprang er hektisch wieder auf. »Ich seh mal nach, ob ich Nell helfen kann.«
Damit blieb Rebus kaum etwas anderes übrig, als zu lesen. Es gab wenig, was er noch nicht wusste.
Herkunft aus der Arbeiterklasse. Gesamtschule in Fife, dann Edinburgh University. Abschluss in
Betriebswirtschaft.
Tätigkeit als staatlich geprüfter Bilanzbuchhalter.
Verheiratet mit Elizabeth Ferrie. Die beiden hatten sich an der Universität kennen gelernt. Sie
war die Tochter von Sir Hugh Ferrie, dem bekannten Unternehmer. Sie war seine einzige Tochter,
sein einziges Kind. Er vergötterte sie, konnte ihr nichts abschlagen, weil sie, wie es hieß, ihn
an seine
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