Ehrensache
in London hatte Rebus letztes Jahr einen Sattelschlepper der
Spedition von Byars gesehen, der sich gerade über den Piccadilly Circus quälte.
Nun gut, es war Rebus' Aufgabe, herumzufragen, ob jemand irgendeine Spur von Liz Jack gesehen
hätte. Nur zu gerne würde er anderen die harte Arbeit mit Leuten wie Jamie Kilpatrick und dem
sich grimmig anhörenden Julian Kaymer überlassen. Doch Barney Byars reservierte er auf jeden Fall
für sich. Wenn das so weitergeht, dachte er, dann muss ich mir bald ein Autogrammalbum
kaufen.
Zufälligerweise war Byars gerade in Edinburgh, »um die Geschäfte anzukurbeln«, wie die junge Frau
im Büro es ausdrückte. Rebus gab ihr seine Telefonnummer, und eine Stunde später rief Byars
persönlich zurück. Er hätte den ganzen Tag zu tun, und am Abend würde er »mit ein paar
Fettsäcken« essen gehen, aber er könnte sich mit Rebus um sechs auf einen Drink treffen, wenn das
genehm wäre.
Rebus fragte sich, in welchem Luxushotel sie wohl ihren Drink einnehmen würden, und war dann
erstaunt, vielleicht sogar ein bisschen enttäuscht, als Byars die Sutherland Bar nannte, eine von
Rebus' Stammkneipen.
»Alles klar«, sagte er, »sechs Uhr.«
Was bedeutete, dass er den ganzen Tag noch vor sich hatte. Da war natürlich der Fall mit den
gestohlenen Büchern. Deshalb würde er sich jedoch nicht verrückt machen. Entweder tauchten die
Bücher auf, oder sie taten es nicht. Er würde darauf wetten, dass sie sich mittlerweile auf der
anderen Seite des Atlantiks befänden. Dann war da noch William Glass, Verdächtiger in einem
Mordfall, der sich in irgendeinem Hinterhof oder in einer mit Kopfstein gepflasterten Gasse
versteckt hielt. Der würde schon auftauchen, wenn seine Sozialhilfe fällig wäre. Das heißt, wenn
er noch dümmer war, als er sich bisher gezeigt hatte.
Nein, vielleicht war er ja auch absolut gewieft. In dem Fall würde er sich nicht mal in die Nähe
eines Sozialamts begeben und schon gar nicht in seine Bude zurückkehren.
In dem Fall müsste er allerdings von irgendwoher Geld kriegen.
Also müsste man mit den Pennern reden, den Ärmsten dieser Stadt. Glass würde entweder stehlen
oder sich aufs Betteln verlegen. Und wo er bettelte, da würden auch andere Bettler sein. Am
besten brachte man eine Beschreibung von ihm in Umlauf, vielleicht mit einem Zehner als
Belohnung, und ließ andere die Arbeit für sich machen. Ja, das sollte man Lauderdale in jedem
Fall vorschlagen. Außer dass er dem Chief Inspector nicht zu viele Gefallen tun wollte, sonst
würde Lauderdale noch denken, er wollte sich bei ihm einschmeicheln.
»Da würde ich eher einen Besen fressen«, murmelte er vor sich hin.
Mit einem außerordentlichen Gefühl für den richtigen Zeitpunkt kam Brian Holmes genau in dem
Moment ins Büro, eine weiße Papiertüte und einen Styroporbecher mit Deckel in der Hand.
»Was haben Sie denn da?«, fragte Rebus, plötzlich hungrig.
»Raten Sie mal, Sie sind doch Polizist.« Holmes zog ein Sandwich aus der Tüte und hielt es Rebus
unter die Nase.
»Cornedbeef?«, riet Rebus.
»Falsch. Pastrami auf Roggenbrot.«
»Was?«
»Und koffeinfreier Kaffee.« Holmes entfernte den Deckel von dem Becher und schnupperte zufrieden
lächelnd am Inhalt. »Von dem neuen Delikatessenladen an der Ecke.«
»Macht Nell Ihnen denn kein Sandwich?«
»Frauen sind heutzutage gleichberechtigt.«
Das glaubte Rebus ihm aufs Wort. Er musste an Inspector Gill Templer denken, an ihre
Psychologiebücher und ihren Feminismus. Er dachte außerdem an die anspruchsvolle Dr. Patience
Aitken. Und er dachte sogar an die überaus freizügige Elizabeth Jack. Alles starke Frauen... Doch
dann fiel ihm Cath Kinnoul ein. Es gab auch immer noch Opfer.
»Wie schmeckt denn das?«, fragte er.
Holmes hatte einen großen Bissen von seinem Sandwich genommen und betrachtete den Rest. »Ganz
gut«, sagte er.
»Interessant.«
Pastrami - das war ein Sandwichbelag, den es wohl auf absehbare Zeit nicht in der Sutherland Bar
geben würde.
Auch Barney Byars ließ sich Zeit, in die Sutherland Bar zu kommen. Rebus war um fünf vor sechs
dort, Byars um fünfundzwanzig nach. Aber es hatte sich gelohnt, auf ihn zu warten.
»Inspector, tut mir Leid, dass ich zu spät komme. Irgendein Arsch hat versucht, mich bei einem
Auftrag über vier Riesen um fünf Prozent zu drücken, und außerdem wollte er sechzig Tage
Zahlungsfrist. Haben Sie eine Ahnung, was das für den Cashflow bedeutet? Ich hab ihm erklärt, ich
hätte
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