Ehrensachen
viel Zucker zu trinken.
Ich kam mit dem Essen aus der Cafeteria zurück. Mr. White trank den Kaffee in einem Zug aus, schlang ein Käsesandwich hinunter und schlief ein. Er lehnte den Kopf nichtan meine Schulter und sank nicht nach vorn; er saß aufrecht mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl und schnarchte. Ab und zu weckte ihn ein besonders rauher Schnarchlaut. Er öffnete die Augen, zitterte unwillkürlich, murmelte etwas auf polnisch und schlief wieder ein. Gegen halb elf kam endlich eine Krankenschwester aus der Intensivstation, aber nur, um zu sagen, daß alle im Flur Wartenden um elf Uhr das Krankenhaus verlassen müßten. Ich stand auf und fragte, leise, um Mr. White nicht zu wecken, wie es Mrs. White gehe. Gehören Sie zur Familie? fragte sie. Er ist der Ehemann, erklärte ich ihr. Warten Sie, der Arzt kommt gleich zu Ihnen. Ich gebe ihm Bescheid, daß Sie da sind. Ich rüttelte Mr. White wach und sagte, der Arzt sei auf dem Weg.
Ihre Frau, sagte der Arzt, hat ganze Arbeit geleistet. Jetzt atmet sie wieder, und wir haben sie rehydriert. Ob sie sich erholen wird oder zurückfällt, das ist die Frage. Die Antwort weiß ich noch nicht. Sie und Ihr Sohn sollten jetzt nach Hause gehen. Hierbleiben können Sie ohnehin nicht. Wir haben Ihre Telefonnummer, und wenn in der Nacht irgend etwas passiert, rufe ich Sie an. Sonst können Sie morgen telefonisch nachfragen oder, wenn Sie möchten, auch herkommen.
Es war nicht leicht, Mr. White zum Weggehen zu überreden, aber schließlich schaffte ich es, indem ich ihm immer wieder auseinandersetzte, daß niemand die Regeln ändern und ihn zu ihr auf die Intensivstation lassen werde, daß er für seine Frau nichts tun könne, außer einen klaren Kopf zu behalten und gesund zu bleiben, und daß man sich nicht mit dem Krankenhauspersonal überwerfen dürfe. Dieses letzte Argument leuchtete ihm ein.
Er hatte seinen Chrysler auf dem Klinikparkplatz abgestellt und fragte, ob es mir etwas ausmache, zu fahren. An der Ecke Flatbush und Church Avenue sei ein Lokal, in dem wir noch ein warmes Essen bekommen könnten, fallsich Interesse hätte, sagte er. Wir aßen eine Art Hackbraten mit Soße und Kartoffelbrei, zum Nachtisch gab es Apfelkuchen und Kaffee. Ich hätte nichts gegen ein Bier gehabt, aber das Lokal besaß keine Lizenz zum Alkoholausschank. Er erzählte mir, wieviel Mrs. White durchgemacht hatte und wie ihre Nerven sich nie wieder von den Sorgen um ihn und ihre Eltern und schon gar nicht von der Angst um ihren Sohn und um das eigene Leben erholt hätten. Sie ist eine gute Frau, versicherte er mir immer wieder. Henry muß freundlicher sein, wenn er mit ihr spricht, weniger ungeduldig. Er muß lernen, nicht so hart zu sein. Verstehen Sie, was ich meine? fragte er. Ich nickte, obwohl ich nicht genau wußte, womit ich einverstanden sein sollte: mit seiner Einschätzung von Mrs. Whites Nervenzustand oder Henrys Schattenseite? Beide Themen konnte ich wohl kaum mit ihm diskutieren – schon gar nicht in diesem Moment. Um zehn Uhr am nächsten Morgen hatte ich, wie jeden Tag, meinen Termin bei Dr. Kalman. Ich fragte Mr. White, ob ich wieder in die Klinik kommen solle; in dem Fall könne ich um zwölf Uhr dort sein. Wenn etwas passiere, könne ich auch eher kommen. Er lehnte ab; das würde nur Zeit verschwenden, die ich zum Schreiben nutzen könnte. Ich fragte, ob sie Freunde hätten, die ich benachrichtigen solle. Als er das hörte, schreckte er auf und sagte nein; seine Frau würde nicht wollen, daß jemand dies erfuhr; sie würde ihm nicht verzeihen, wenn es sich herumspräche. Aber er würde mich anrufen, wenn er wieder Hilfe brauchte, und mir auf jeden Fall berichten, wie es seiner Frau ging. Unmittelbar nach dem Essen sagte er, ich müsse schlafen, und bestand darauf, mich gleich vor dem Lokal in ein Taxi zu setzen. Diesmal umarmte ich ihn. Dann drückte er mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand und war nicht dazu zu bewegen, ihn zurückzunehmen.
In den folgenden Tagen rief mich Mr. White, wie verabredet, regelmäßig an. Er hatte vergeblich versucht, Henry zu erreichen, und mit dem Hauptfeldwebel der Kompanie gesprochen, der ihm erklärt hatte, er könne Henry die Nachricht erst weitergeben, wenn er aus dem Urlaub wiederkomme. Der größte Teil der Woche verging, ohne daß Mrs. Whites Zustand sich änderte oder ohne daß er eine Veränderung beschreiben konnte, und ich fragte mich besorgt, was er und Henry tun würden, wenn sie in einem Dauerkoma bliebe oder mit
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