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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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einer geistigen oder physischen Behinderung aus dem Koma erwachte. Dr. Kalman hatte mir erklärt, daß damit zu rechnen sei, wenn zuviel Zeit vergangen war, bis die Sanitäter oder Notärzte sie wieder zum Atmen hatten bringen können. Aber dann erholte sie sich doch, sehr schnell sogar, und Mr. White berichtete triumphierend, sie werde wieder wie neu. Sein letzter Anruf war die Nachricht, daß er sie nach Hause geholt habe. Sie seien beide wohlauf, er habe eine Pflegerin besorgt, und natürlich hätten sie die Putzfrau, aber er hoffe auf mein Verständnis, daß er mich nicht zu einem Besuch einlade. Damit seien sie überfordert. Ich sagte, ich sei erleichtert und froh für die ganze Familie. Da der Florist an der Lexington Avenue mir versichert hatte, er könne via Interflor Blumen an eine Adresse in Brooklyn liefern, schickte ich Mrs. White ein Dutzend rote Rosen. Ein paar Wochen später schrieb sie mir ein paar Zeilen und dankte mir für die Rosen und meine Hilfsbereitschaft. Mehr könne sie nicht sagen, schrieb sie, sie schäme sich zu sehr. Henry rief mich nicht an und schrieb nicht. Ich versuchte nicht, ihn zu erreichen, auch deshalb nicht, weil mir die Präsentation meines Romans in den Buchhandlungen – manchmal sah ich ihn sogar im Vorbeigehen in Schaufenstern – plötzlich die Tür zu einem neuen, sonderbar faszinierenden gesellschaftlichen Leben öffnete. Ich wurde von Gastgebern, die ich nicht kannte, zu Cocktailpartys und Essen eingeladen; hoch angesehene ältere Herrschaften schienen es für selbstverständlich zu halten, daß ich in den Häusern ihrer Freunde zu finden war, und unterhielten sich mit mir, als seien wir gleichgestellt. Ich war nicht mehr verlegen, wenn ich Fremden als ein Romancier vorgestellt wurde oder wenn Leute so etwas wie Respekt vor meiner Meinung zeigten.
    Ich war sehr gespannt gewesen, wie mein Buch in den Berkshires aufgenommen würde, nicht von meiner Mutter, von der ich feindseliges Schweigen oder Schlimmeres erwartete, sondern von Leuten, die mir wichtig waren und ebenfalls entschlüsseln konnten, was hinter der Geschichte steckte, die ich erzählt hatte. George überraschte mich. Er muß den Roman in einem Zug durchgelesen haben, höchstwahrscheinlich eine ganz neue Erfahrung in seinem Leben als Leser. Knapp eine Woche nachdem man ihm das Buch zugeschickt hatte, rief er mich an, erzählte mir, er habe schon Exemplare für Edie und die Appleton-Cousinen gekauft, und wollte wissen, ob ich bereit sei, vor Mitgliedern seines Law School Clubs über das Buch und das Leben eines Schriftstellers zu sprechen. Dann schrieb mir May Standish, sie und Cousin Jack würden gern eine Cocktailparty geben, um ihren Romancier vorzuzeigen – das war ihre Formulierung –, entweder am Tag nach Weihnachten oder vor Silvester, je nachdem, was mir besser passe, jedoch nehme sie an, daß Gäste am Tag nach Weihnachten weniger angespannt und aufmerksamer sein würden. Da ich herausgefunden hatte, daß Dr. Kalman vom Weihnachtsabend bis Neujahr in Kanada Skilaufen wollte, entschied ich mich für den ersten Termin. Meine Mutter hatte seltsam beharrlich auf meinem Weihnachtsbesuch zu Hause bestanden. Ich hatte zugesagt, mit dem Hintergedanken, daß ich im schlimmsten Fall, also wenn sie mich wegen des Buchs attackierte, meinen Auftritt bei der Standish-Party absolvieren, über Nacht bei ihnen bleiben und mit einem Frühzug nach New York zurückfahren würde. Endlich kam der Brief meinerMutter. Er war kurz. Sie bedankte sich für das Buch und die Widmung und schrieb dann: »Du mußt sehr hart gearbeitet haben. Ich hoffe, das Buch kommt gut an. Mrs. Jennings (das war die Eigentümerin der Buchhandlung in Lenox) hat mir gesagt, daß anscheinend viele Leute Romane von dieser Art lesen möchten.« Ich war erleichtert. An diesen drei Sätzen muß sie fast so hart gearbeitet haben wie ich an dem gesamten Buch, aber wenigstens hatte sie mich verschont mit Beschuldigungen und vorwurfsvollen Spekulationen über das, was mein Vater wohl gedacht hätte. In meiner Antwort bestätigte ich mein Kommen und sagte, ich würde mit dem Auto fahren. Ich erinnerte mich dunkel, daß meine Mutter mir in San Juan erzählt hatte, sie wolle ihren Wagen verkaufen und den meines Vaters benutzen. Ich wollte nicht davon abhängig sein, daß sie mich fuhr, und erst recht sollte sie sich nicht verpflichtet fühlen, zu Hause zu bleiben, wenn ich allein mit dem Auto unterwegs war. Ich reservierte einen Mietwagen von Hertz. Wie sich

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