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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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beide in Gedanken versunken. Meine hatten mich an den Rand der Panik gebracht.
    Das Angebot, einen Kaffee zu trinken, lehnte ich ab, aber Henrys Vorschlag, daß wir noch einen Kognak nehmen sollten, hatte etwas Feierliches, und ich widersprach nicht, als er nach einer Beratung mit dem Sommelier zwei Gläser sehr alten Armagnac bestellte. Er trank sein Glas schnell leer, bestellte sich noch eines und sagte dann: Jetzt sollst du hören, zu welchem Schluß ich gekommen bin. Ich lasse dieses verhaßte Leben hinter mir. Ich verabschiede mich.
    Henry, schrie ich, du bist wahnsinnig. Dieser schweinische Belgier hat dich miserabel behandelt, du bist erschöpft und überreizt, du brauchst Ruhe und Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Oder du mußt zum Arzt – ich verschaffe dir eine zuverlässige Empfehlung.
    Ich bin nicht wahnsinnig, erwiderte er, und im Gegensatz zu meiner Mutter auch nicht verfolgt von Selbstmordgedanken. Ich leide nicht an Depressionen. Wenn mich etwas verfolgt, dann die Vision von einem vollkommen anderen Leben. Das wünsche ich mir mit aller Kraft. Aber ich kann mir nicht vorstellen, das andere Leben zu beginnen, ohne die Tür zu diesem zu schließen. Ich werde verschwinden. Du wirst mir fehlen, Sam – und wahrscheinlich sonst niemand –, aber es muß sein. Bitte versuch nicht, mich wiederzusehen, wenn wir uns heute abend verabschiedet haben. Zwangsläufig wirst du von George erfahren, was ich getan habe.Such nicht nach mir. Wenn ich ein so guter Anwalt bin, wie ich glaube, kannst du mich sowieso nicht finden. Und falls es dir durch einen Zufallstreffer doch gelingt, dann laß mich in Frieden. Sonst würdest du mir Schaden zufügen. Wenn du mit mir in Verbindung bleiben möchtest, schreib weiter deine Bücher. Ich werde sie lesen und dir Fanbriefe schreiben, darauf kannst du dich verlassen. Daß sie von mir kommen, wirst du natürlich nicht ohne weiteres erkennen.
    Damit stand er auf. Wir umarmten uns, und dann bedeutete er mir, ihn allein zu lassen, sichtlich erschüttert, wortlos. Die Kehle war ihm zugeschnürt.
    Ich ging zum Weinen nach Hause. Am nächsten Tag sprach ich mit George. Henry hatte mich nicht gebeten, seine Entscheidung für mich zu behalten, aber ich dachte, ich dürfe nichts sagen, was seine Stellung in der Kanzlei beeinflussen konnte. Jedoch kaum hatte ich Henrys Namen genannt, erwiderte George, er habe mich gerade anrufen wollen, um mir von einer Dringlichkeitssitzung am frühen Morgen zu berichten, die eben beendet sei; Jake Weir hatte den Wiggins-Partnern mitgeteilt, daß er mit Henry vertrauliche Verhandlungen über dessen Abschied von der Firma geführt habe. Dies sei auf den ausdrücklichen Wunsch Henrys und gegen Jakes Willen und besseres Wissen geschehen – das habe er sehr deutlich gesagt. Er bat die Partner, der Abfindung für Henry zuzustimmen und auch einem Brief an Henry, in dem er im Namen der Kanzlei schreiben werde, daß alle sich seine Rückkehr wünschten. Er ist durchgedreht, schloß George. Hast du irgend etwas davon gewußt?
    Daß er bei Wiggins aufhören und irgendwie abtauchen will, ja, das habe ich gewußt – seit gestern abend, da hat er es mir beim Essen erklärt.
    Er ist durchgedreht, völlig durchgedreht.
    Ich fragte, ob Henry ohne finanzielle Sorgen leben könne, wenn er keine Arbeit mehr hatte.
    Das ist sein geringstes Problem, antwortete George. Er hat Ersparnisse; er besitzt, was er von seinem Vater erbte, und das war ein Batzen Geld, wie sich herausstellte; und mit Jake hat er auch eine saftige Abfindung ausgehandelt. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, daß er sehr sparsam gelebt hat. Das schicke Apartment in Paris zum Beispiel hat ihm die Firma bezahlt.
    Was machen wir denn jetzt? fragte ich.
    Versuchen, ihn zu sehen, denke ich mir, sagte George. Er hat mich Minuten vor der Sitzung der Partner angerufen, um mich vorzuwarnen. Sehr fair von ihm. Sobald wir aufgelegt haben, versuche ich, ihn zu erwischen und zu fragen, ob wir drei uns nächste Woche treffen können.
    Noch in derselben Stunde rief George zurück. Es ist zu spät, sagte er. Heute nacht hat er sein Büro geräumt. Als seine Sekretärin heute früh zur Arbeit kam, fand sie an den Wänden lauter Kisten fertig zum Abtransport aufgestapelt. Henry war in seinem Büro, trank einen Kaffee und las die Zeitung. Er bat sie, sich zu setzen, und eröffnete ihr sehr freundlich, daß er beschlossen habe, in den Ruhestand zu gehen. Den Plan habe er schon seit einer Weile, aber er habe

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