Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
Einnahmen bringen, vielleicht sogar mehr. Meine Spezialität ist es, aus Teilen und Bruchstücken von Rechtssystemen, die nicht als Teile eines Ganzen gedacht waren, vollständige Puzzles zusammenzusetzen. Niemand in Europa oder New York kann das so gut wie ich; das ist eine schlichte, unbestreitbare Tatsache. Ich kann mir vorstellen, daß ein paar Jungtürken in New York meinen, ich hätte unbedacht die Gans geschlachtet, die die goldenen Eier legt. Zum Glück nimmt Jake Weir, der jetzt Chef der Firma ist, ihnen das nicht ab. Wir wissen beide, daß sie sich irren. Wir sind uns einig, daß ich vielleicht ein paar Monate brauche, um mich neu zu orientieren, danach aber eine Arbeit haben kann, die genauso herausfordernd und gewinnbringend ist wie Huberts Aufträge es waren. Wohl oder übel ist es ein offenes Geheimnis, daß ich der Urheber der l’Occident-Transaktion bin, und viele Direktoren großer Geldinstitute hätten ganz gern einen Berater, der solche Strategien erfinden kann. Daß ich mich mit Hubertzerstritten habe, ist auch kein Fleck auf meiner weißen Weste; Mandanten, an denen ich interessiert bin, und deren Ratgeber wissen, daß Hubert sich wie ein Riesenarschloch benommen hat.
    Ich sagte: Ich bin so froh und so erleichtert. Komm, trinken wir auf größere und bessere Puzzles!
    Nicht so hastig, sagte Henry. Du weißt ja, daß ich nachdenken wollte. Unter anderem habe ich mich gefragt, welche Befriedigungen mir mein Beruf verschafft. Sie sind zahlreich und intensiv. Ich bin sogar sehr viel glücklicher bei Wiggins & O’Reilly, als ich es für möglich gehalten hätte, wenn man die besonderen – oder sollten wir sagen: die obskuren – Umstände bedenkt, die zu meiner Einstellung geführt haben. Ich war wirklich stolz, als ich Partner wurde. Aber die Befriedigung, die man aus einer gut gemachten Arbeit zieht, wächst nicht mit jedem erfüllten Auftrag, ganz gleich, wie viel Theater Mandanten und Kollegen um dich machen. Dagegen kostet dich der Erfolg Tag für Tag einen hohen, man könnte auch sagen: einen exorbitanten Preis. Du mußt ständig die Angelegenheiten anderer über deine eigenen stellen. Irgendwo habe ich gelesen, daß das Überleben der Spezies – mindestens der höher entwickelten Unterarten – auf einer einzigen Anomalie beruht: Bis ins hohe Alter verliert weder das männliche noch das weibliche Geschlecht die Fähigkeit zum Orgasmus. Aber ich kann dir versichern, daß nichts in meiner Arbeit als Anwalt mir je auch nur annähernd einen Ständer beschert hätte, vom Rest ganz zu schweigen.
    Wußte Henry womöglich, daß Jim Hershey sich für ihn eingesetzt hatte, oder wollte er mir vielleicht andeuten, welche Rolle Margot in diesem entscheidenden Ereignis seines Lebens gespielt hatte? Wann und wie hatte er sich dieses Wissen verschafft? Und warum setzte er anscheinend voraus, daß ich es auch besaß? Diese Fragen konnte ich ihmnicht stellen. Wenn ihm, was gut möglich war, die Worte nur unabsichtlich herausgerutscht und gar nicht für mich bestimmt gewesen waren, so wenig wie Margots unfreiwillige Indiskretion, aus der ich einen unbewiesenen Schluß gezogen hatte, oder wenn ich Margot ganz falsch verstanden hatte, dann war das Risiko groß, daß meine Antwort auf das, was er nur vielleicht gesagt hatte, ihn zur denkbar falschen Zeit, in einem Augenblick größter Verletzlichkeit, demütigen würde. Also hob ich nur die Hand, in der Hoffnung, ihn etwas zu beruhigen. Ich wollte das Gehörte erst einmal verdauen.
    Henry achtete nicht auf meine Geste, auch nicht auf meinen höchstwahrscheinlich gequälten Gesichtsausdruck. Hör mich zu Ende an, sagte er. Ich bin noch beim Thema der Freiwilligkeit. Ich möchte tun, was ich kann, damit du auch wirklich verstehst, daß ich durchaus nicht gezwungen bin, meinen Beruf oder meine Lebensweise aufzugeben. Aber genau das habe ich vor, aus freier Wahl und nicht, weil die Umstände mir diese Entscheidung aufgezwungen hätten.
    Sam, fuhr er fort, Archie ist tot, meine Eltern sind tot, jetzt bist du der Mensch, der mich am längsten und am besten kennt. Nicht einmal Margot hat mich so gut gekannt, weil ich ihr viele Jahre lang etwas vorgegaukelt habe. Mit dir habe ich das nie getan. Du hast mich von Anfang an durchschaut, gleich an diesem ersten Tag im Studentenwohnheim, und du hast mich hingenommen, wie ich bin. Bitte, nimm auch hin, was ich jetzt tun will, und versprich mir, daß du in Zukunft genauso liebevoll an mich denken wirst wie jetzt.
    Was redest

Weitere Kostenlose Bücher