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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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entdeckte, daß der Graf gern Leute, die für ihn arbeiten, wie Kampfhähne aufeinanderhetzt – ein Zeitvertreib, der ihm fast so viel Vergnügen macht wie Skilaufen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er dafür gesorgt, daß ich erfuhr, wie er mir zusah. Er hat noch andere sadistische Freizeitbeschäftigungen. Ich komme gleich auf eine davon zurück. Aber hier ist die komische Geschichte: Erinnerst du dich, wie Hubert und ich lateinische Briefe wechselten? Inzwischen weiß ich, daß er, genau wie der Papst, einen Sekretär für seine lateinische Korrespondenz hat, einen Ghostwriter für seine Briefe und Verse. Natürlich kann Hubert lateinische Texte lesen, besser als viele Leute, die sich irgendwann ernsthaft mit der Sprache beschäftigt haben, und er hat Teile von Gedichten auswendig gelernt, aber zum Schreiben reicht das nicht. Dazu braucht man eine andere Fähigkeit. Also mogelt er. Als ich ihm von meinem Lexikon erzählte, hat er die lateinische Korrespondenz eingestellt. Er wußte, daß er mich damit nicht mehr piesacken konnte. Übrigens, daß er Gilberte betrügt, weißt du wohl.
    Ich sagte, daß George mir vor Jahren etwas in der Richtung angedeutet hatte, seine Quelle sei Derek de Rham gewesen.
    Ach ja, sagte Henry, Dereks Geschichten kenne ich. Davon gibt es Dutzende, die meisten sind wahr. Hubert gab sie mir gern zum besten – besonders wenn sie noch brühwarm waren – und malte die eher schmutzigen Details genüßlich aus. Zuerst dachte ich, dies sei das in der belgischen Oberklasse übliche Äquivalent zu den Prahlereien in Kasernen, dem Renommiergehabe der Soldaten, die sich gegenseitig weismachen, sie hätten sich beim Ausgang an einem Samstag abend in der Pigalle eine Muschi geschnappt; aber nein, was er erzählte, war nicht erfunden und handelte von Frauen, die nicht von Berufs wegen verfügbar sind. Die eine oder andere kenne ich sogar. Na gut, wenn ein Mann Frauen flachlegen will, über die er so redet, dann ist das seine Sache, und wenn er das Zeug seinem Anwalt erzählen will, dann ist es an dem Anwalt, ihn zum Schweigen zu bringen, falls ihn die Geschichten anwidern. Das habe ich nicht getan; sein Mitteilungsbedürfnis schien mir Teil unserer Vertrautheit zu sein. Huberts Indiskretion ist so hemmungslos, daß ich gelegentlich beobachtete, wie Gilberte mit einer wahrscheinlich unbedachten Nebenbemerkung oder einem beredten Schweigen zu erkennen gab, daß sie ebenfalls Bescheid wußte. Die arme Frau! Hubert hat mich so beeindruckt, ich war so begeistert von seinem Bühnenzauber, so geschmeichelt von dem Vertrauen, das er mir schenkte, so vertieft in meine Arbeit für ihn, daß ich unverzeihlich langsam aufgewacht bin. Für mich stand zuviel auf dem Spiel, in meinem beruflichen wie meinem privaten Leben, ich konnte mir selbst nicht in deutlichen Worten sagen, daß Hubert ein Scheißkerl ist und nicht mehr mein Freund sein kann, selbst wenn er mein Mandant bleibt. Aber was mir die Augen schließlich öffnete, war – paradox genug, da meine Beziehungen zu Frauen auch nicht immer sind, wie sie sein sollen – gerade dieses Beispiel von Huberts miserablem Benehmen, diese Illoyalität und sein abscheuliches Verhalten gegenüber Gilberte; jetzt sah ich endlich den widerwärtigen Hubert: den sadistischen, anmaßenden Rüpel, der über jeden Schwächeren herfällt. Soviel zu dem rapace , den ich bewundert habe!
    Er holte tief Luft und fuhr fort: Während mir seine letzte Undankbarkeit und die Ohrfeige weh taten, konnte ich ihm also keinesfalls, ohne meine Selbstachtung zu verlieren, noch weiter Dienste als Anwalt leisten. Ein Anwalt muß seinem Mandanten beistehen und dessen Interessen mit Eifer verteidigen, und ich war mir leider inzwischen nicht mehr sicher, ob ich Hubert noch achtete oder ihm wohlwollend gegenüberstand. Wahrscheinlich hätte ich ihn auch nicht als Mandanten behalten können, nachdem er oder ich nur die angebliche Freundschaft aufgekündigt hatten: So funktioniert es nicht.
    Er bestellte noch eine Flasche Burgunder beim Sommelier und schwieg, bis der Wein gebracht, dekantiert und eingeschenkt worden war.
    Ich habe ziemlich hitzig von dieser bitteren Enttäuschung geredet, sagte er, und ich möchte sichergehen, daß du keinen falschen Schluß daraus ziehst. Huberts Aufträge zu verlieren, hat mich nicht erschüttert, auch wenn meine Kanzlei sehr bestürzt sein mag. Wenn ich will, kann ich Hubert durch andere Mandanten ersetzen, die der Kanzlei mindestens die gleiche Flut von

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