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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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du da? schrie ich auf, was hast du vor?
    Schsch, sagte er. Laß mich erst zu Atem kommen, dann erkläre ich’s dir.
    Als er wieder Worte hatte, fragte er: Habe ich dir im Zug meiner langen Tirade gesagt, daß ich mein Leben hasse?
    Ich schüttelte den Kopf.
    Aber so ist es, sagte er. Wie ich dir gerade erklärt habe, hast du mich von Anfang an durchschaut. Du hast erkannt, daß ich nicht sein wollte, was ich war: ein jüdischer Flüchtling aus Polen mit einer Adresse in Brooklyn und dem Abschlußzeugnis einer Highschool in Brooklyn. Archie hat mir deine treffende Formulierung wiederholt: Henry versucht, als Nichtjude durchzugehen. Oder vielleicht hat er das zu dir gesagt; das spielt keine Rolle, jedenfalls war es nicht gehässig gemeint, und es stimmte. Ich war ins Land der Freiheit gekommen, also wollte ich frei sein, und das hieß, ich mußte die Ketten und die Fußfesseln loswerden, die mich zurückhielten: Krakau und den Morast der jüdischen Geschichte und des jüdischen Leids vor, in und nach dem Krieg. Das Ganze. Den ganzen Judismus.
    Das war ein Wort, das ich seit dem College nicht mehr gehört hatte, und ich mußte lächeln.
    Er nickte und sagte: Das klingt herzlos und unmoralisch, richtig? Na ja, daran hat sich nichts geändert. Aber versuch du mal, mit dergleichen zu leben, dann werden wir sehen, wieviel Moralität dir bleibt. Meine Eltern mußten auch geopfert werden; sonst wäre das übrige unmöglich gewesen. Sie waren meine personifizierte Vergangenheit, sie verbauten mir den Weg, verlangten Rechenschaft. Mit Archie hätte ich nicht tauschen wollen – er war selbst ein Außenseiter, aber er hatte einen Vorteil vor mir: Er war kein Flüchtling, er mußte nicht aus der Haut fahren. Mit dir und deinem Cousin George ging es mir anders. Euch hätte ich gern manches gestohlen: euer Aussehen, eure Redeweise, den Stil eurer Kleidung, eure Schulen, jedes einzelne Merkmal, das euch als Privilegierte auswies, alle die Zeichen, die den ungerechten Unterschied zwischen euch und mir markierten. Und auch eure kräftigeren, widerstandsfähigeren Körper. Nach der Schlägerei in New Orleans hast du mirerklärt, diese Erfahrung habe dich nicht verändert. Kannst du dir vorstellen, was das für mich bedeutete? Wie hoch über mir du standest? Mein Hirn hätte ich wahrscheinlich behalten wollen, denn ich dachte, es sei besser als alle anderen. Hätte ich allerdings deine Begabung erkannt, dann hätte ich mir vielleicht doch auch dein Gehirn genommen, trotz allem, was ich mir damit eingehandelt hätte.
    Als er das herausgebracht hatte, kicherte Henry.
    Ich zog die Brauen hoch.
    Verzeih, sagte Henry, du kennst mich doch, und streckte mir seine Hand entgegen, die ich schüttelte.
    Du kannst mit Recht fragen, was meine Selbstverneinung mir eingetragen hat. Mein Judismus ist mir geblieben, wie fauliger Atem. Was habe ich durch den Verrat an meinen Eltern gewonnen? Wir haben über meine Anwaltskarriere gesprochen. Sie hätten sie gebilligt, nach einer gewissen Indoktrination. Den Namen Wiggins & O’Reilly zum Beispiel kannten sie bestimmt nicht. Aber sie hätten verstanden, daß ich eine Menge Geld verdiene, und wären froh gewesen zu erfahren, daß mein Job sicher ist, auch wenn Hubert de Sainte-Terre mich kürzlich dispensiert hat und ihm in Zukunft vielleicht andere Mandanten folgen. Wenn ich es mir recht überlege, bin ich mir nicht so sicher, daß meine Eltern mir das geglaubt hätten. Einer von beiden hätte vielleicht gesagt: Nimm dich in acht, Rysiek. Wenn die Gojim dich nicht mehr brauchen, werfen sie dich raus. Allerdings werde ich die Kanzlei diesem Test nicht aussetzen. Und meine Wohnung, meine Möbel, meine feinen englischen Anzüge? Ich höre meine Mutter sagen: Was willst du mit der großen Wohnung? Hast du Kinder? Nicht mal eine Frau hast du! Was würde ich antworten? Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich versucht hätte, ihnen Margot verständlich zu machen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich verstehen kann, was mit uns passiert ist. Bleibt noch ein Posten in meinerBilanz: Freundschaften. Deine war mir am meisten wert, aber ich hoffe, du verzeihst mir, wenn ich etwas sage, das du selbst am besten weißt: Bücher und Freundschaften möblieren einen Raum. Leben bringen sie nicht hinein. Also antworte ich auf die Frage, die ich dir in den Mund gelegt habe: Nichts hat sie mir eingetragen, Null, oder weniger als das. Schmach und Schande sind mein Lohn.
    Was vom Dinner noch übrig war, aßen wir fast wortlos,

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