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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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niemanden informieren wollen, ehe er alles vorbereitet hatte, und jetzt sei er so weit und verabschiede sich. Er machte ihr ein großzügiges Geschenk – hunderttausend Francs in bar und ein Ticket erster Klasse nach Tahiti und zurück, denn eine Reise nach Tahiti hat sie sich schon lange gewünscht. Und er bat sie, die Kisten und seine Privatpost an seinen Notar zu schicken. Geschäftspost solle sie dem Juniorpartner geben, der mit ihm zusammengearbeitet hatte. Viel werde es nicht sein, sagte er, und wenn die Kanzlei seinen Ruhestand bekanntgegeben habe, werde gar nichts mehr kommen.
    Ich hatte plötzlich eine Vorahnung und sagte George, wir sollten auflegen, damit ich versuchen könne, Henry zuHause zu erreichen. Eine automatische Ansage der Telefongesellschaft informierte mich, daß der Anschluß auf Verlangen des Kunden stillgelegt sei. Ich rief George an und gab ihm Bescheid, ich würde mit einem Taxi zu Henrys Wohnung fahren. Der Hausdiener, den ich kannte, öffnete die Tür. Ah, Monsieur Standish, sagte er, Monsieur White ist ausgezogen. Ich bin hier, um alles sauberzumachen, bevor wir dem Vermieter die Wohnung übergeben.
    Und die Möbel, und Monsieur Whites Kleider?
    Was noch hier war, ist weggegeben oder wird nächste Woche zur Salle Drouot gebracht.
    Ich schüttelte dem Mann die Hand und ging, plötzlich sehr matt, nach Hause, um George anzurufen. Aber das Reden fiel uns schwer. Auch er war müde und mutlos. Ich fragte, ob er irgend etwas über Henrys notaire wisse. Nein, sagte er, aber er werde jemanden finden, der mit dem notaire reden konnte. Als George und ich in der Woche danach wieder telefonierten, hatte er nichts Neues zu berichten, außer daß der notaire sehr bestimmt gesagt hatte, seine Berufspflicht verbiete ihm jede Auskunft über Monsieur White und die Regelungen, die er getroffen habe.
    Aber um Gottes willen, sagte ich, deine Kanzlei muß ihm doch Zahlungen überweisen und ihn wahrscheinlich auch aus anderen Gründen erreichen können. Wie macht ihr das denn?
    Das ist alles geregelt, sagte George. Im wesentlichen handelt es sich um eine einmalige Abfindung. Das Geld wurde auf Henrys Bankkonto in New York überwiesen – das er aufgelöst hat oder demnächst auflösen wird, wenn ich das Muster, nach dem er vorgeht, richtig verstanden habe. Er und Jake haben eine Vereinbarung getroffen für den Fall, daß Jake oder sonst jemand in der Kanzlei eine wichtige Aussage von Henry braucht, zum Beispiel, falls wir verklagt werden und nur er genaue Kenntnis der Fakten besitzt. Jakesoll dann über den notaire einen Brief mit dem Vermerk »dringend« an Henry schicken. Er wird prompt antworten.
    Ich hatte keinen Grund, meinen Aufenthalt in Paris zu verlängern. Ich kehrte nach New York zurück. Ein paar Tage danach war ich bei George und Edie, und wir sprachen von Henry, über die alten Zeiten und auch über die Flut der Briefe von Mandanten und Kollegen, die irgendwann einmal mit ihm zusammengearbeitet hatten und alle zum Ausdruck brachten, daß die Nachricht von seinem Ruhestand ein Schock für sie gewesen sei. Die Kanzlei bestätigt in Henrys Auftrag den Empfang dieser Briefe und leitet sie an den notaire weiter, sagte George. Daß er auch nur einen davon selbst beantwortet, ist unwahrscheinlich. Darüber hat Jake ausführlich mit ihm gesprochen. Sie haben sich auf dieses Verfahren geeinigt, weil dadurch Henrys Schweigen wahrscheinlich am wenigsten kränkend wirkt.
    Trotz Henrys dringender Bitte machte ich in den folgenden Jahren viele Versuche, den Kontakt mit ihm wieder herzustellen. Bewaffnet mit einem Empfehlungsschreiben von einem Mitglied des Conseil d’Ordre der Pariser Anwaltskammer suchte ich den notaire in Paris auf, prallte aber gegen eine Wand aus höflichem Schweigen. Ich schrieb an das Büro der Harvard-Alumni mit der Bitte um seine Adresse, und als man mir mitteilte, es gebe keine, nutzte ich die Gelegenheit eines Aufenthalts in Cambridge – ich hielt die Eliot-Norton-Vorlesungen –, um die Adressenlisten selbst durchzusehen. Eines Tages kam mir der Gedanke, daß Henry sicherlich weiter The New Yorker und New York Review of Books las. Ich kannte die Herausgeber beider Zeitschriften gut genug, um fragen zu können, ob Henry Abonnent war. Von beiden erhielt ich die Auskunft, daß Henrys Abonnement 1983 abgelaufen und nicht erneuert worden war. Minitel, eine außerordentlich findige Suchmaschine fürAdressen und Telefonnummern, war in Frankreich von der Telefongesellschaft

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