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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Newkirk-Avenue-Station laufen und von dort mit der U-Bahn fahren. Ich spielte mit dem Gedanken, weil ich noch nie im Metropolitan Museum gewesen war, verwarfihn dann aber. Ich war müde und kannte mich fast gar nicht mit der Geographie und dem Verkehrsnetz New Yorks aus. Statt dessen machte ich einen Spaziergang. Als es anfing zu regnen, kehrte ich um und ging zu den Whites zurück. Ich hatte vorgehabt, heimlich in mein Zimmer zu schleichen und mich nicht sehen zu lassen, bis Henry nach Hause kam, aber Mrs. White fing mich unten an der Treppe ab und sagte, in einer halben Stunde würden wir zu Mittag essen, nur wir beide, wenn ich es nicht zu langweilig fände. Ich hatte nicht den Mut, zu behaupten, ich sei nicht hungrig und würde das Mittagessen lieber ausfallen lassen. Als ich in die Küche kam, fand ich auf dem Tisch Schinkenscheiben und etwas, das sie Preßkopf nannte, das aber besser schmeckte als sein Aussehen und Name vermuten ließen; außerdem Wurst, Roggenbrot, Butter und Schweizer Käse, dazu einen Teller Radieschen, die sie gerade geputzt hatte. Dazu tranken wir Buttermilch, ein Getränk, das mir neu war. Zum Abschluß brachte Mrs. White den Rest des Käsekuchens und Kaffee. Ich hatte mich so an das Mensaessen und die Hamburger bei Elsie’s gewöhnt, daß alles, was sie mir vorsetzte, ein Festmahl für mich war. Das sagte ich ihr, und sie rief zum Dank: Essen Sie, essen Sie, das tut Ihnen gut!
    Sie brauchen gute Nahrung, erklärte sie mir, Sie sind so sehr groß, genau wie Henry. Und dann behauptete sie, wie man kocht, das habe sie vergessen. Sie koche für niemanden mehr: Ihr Mann dürfe kein Fleisch, keine Butter und keinen Käse essen, und Henry komme nie mehr nach Hause, und wenn er doch einmal da sei, verziehe er das Gesicht über ihre Kochkünste. Wenn sie Gäste einlüden – selten genug, weil die wenigen Freunde, die sie hatten, auf der Upper West Side wohnten oder in Riverdale oder Forest Hill –, serviere sie ihnen Aufschnitt zum Lunch und Brathuhn zum Dinner. Alles andere sei zu kompliziert, und es kümmere sowieso keinen mehr. Warum sollte sie sich kümmern, frage sie sich.Das Haus sei ganz unsinnig. Viel zu groß für sie und ihren Mann, und noch dazu in der falschen Gegend. Niemand wohnt in Brooklyn. Die Fahrt nach Westchester, wo Freunde wohnten, oder nur in die City, wenn sie zum Essen ausgehen oder ein Theaterstück sehen wollten, ermüde ihren Mann zu sehr. Er sei nicht wie andere Männer, die sich mit Autos auskannten und gern fuhren; er sei wie die sehr religiösen Juden in Polen, die den ganzen Tag lang den Talmud studieren und alles ihrer Frau überlassen. Zum Schluß sagte sie: Ich stecke fest, ich sitze in der Falle, und meinen Mann und meinen Sohn kümmert es nicht.
    Sie tupfte sich die Augen mit dem Taschentuch und meinte, ich solle ihr gar nicht zuhören. Sie sage Dinge, die ich nicht verstehen könne, denn sie habe den ganzen Tag niemanden zum Reden; wir sollten uns lieber über Henry unterhalten. Ob ich glaubte, daß mit ihm alles in Ordnung sei, wollte sie wissen. Ich sagte, er sehe besser aus denn je, fände ich, und sein Erfolg am College sei blendend – er stehe ganz oben an der Spitze. Ja, sagte sie, aber die Leute, mit denen er zusammen ist, seine Freunde, die sind alle so anders als er. Dieser Archie, diese Margot, diese Belgier, auch Sie. Ich glaube, er hat keinen einzigen jüdischen Freund. Wo werden sie sein, wenn er Examen hat? Alle werden sie zu ihren Familien und Freunden zurückgehen, und er wird allein sein. Was ist so besonders am Leben in Belgien, an der Arbeit als Tutor? Als Aushilfe an einem Ferienort würde er mehr Geld verdienen. Und überhaupt braucht er gar kein Geld. Sein Vater würde es ihm geben. Er ist so ein guter Student, aber er hat keine Karriere vor sich. Will er sein Leben lang Lateinlehrer sein? Was nützt es, ihn so sehr zu lieben? Es ist ihm lästig. Sie schluchzte, entschuldigte sich, und als sie anfing, heftig zu weinen, ging sie aus dem Zimmer. Als sie wiederkam, vollkommen gefaßt, sah ich, daß sie neues Make-up aufgelegt hatte.
    Meinen Sie, daß er eines von diesen Stipendien zum Studium im Ausland bekommt, von denen er immer redet? fragte sie.
    Ich antwortete, welches Stipendium er im Sinn habe, wisse ich nicht, aber seine Noten berechtigten ihn sicher dazu.
    Sie unterbrach mich, er sei so ehrgeizig.
    Ich beruhigte sie, das wisse ich, und sie brauche sich keine Sorgen um ihn zu machen, denn er habe bis jetzt in Harvard alles

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