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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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griechischen Prosodie anwendete: ein Genuß für Fachidioten, wie er mir sagte. Er habe bei Younger etwas gut, denn er habe schließlich sein Versprechen eingelöst und im Speisesaal des Lowell House eine Plautus-Komödie aufgeführt.Aber Mrs. Whites Ängste und Verunsicherungen waren nicht ganz grundlos gewesen, und ich konnte ihr nachfühlen, daß ihr die Enttäuschungen, die ihr Sohn hinnehmen mußte, Sorgen machten. Henry sagte, sehr schade, daß er kein Rhodes-Stipendium bekommen werde, aber er habe die Hoffnung aufgegeben; er sei kein Sportler; und beim abschließenden Interview in New York habe er keine gute Figur gemacht. Der Hafenblick vom Aufenthaltsraum der Kanzlei, die Delfter Kachelsammlung im Konferenzzimmer und die unangreifbare glatte Eleganz der vier Männer, in deren Hand die Entscheidung über seine Kandidatur lag, hätten ihm die Sprache verschlagen. Dann langweilten sie ihn mit Fragen über seinen Namen, Polen, seinen und seiner Familie Aufenthaltsort während des Krieges und so weiter; sie fragten nicht aus Sympathie, sondern nur um sicherzugehen, daß nichts verborgen geblieben war. Zwei Studenten aus seinem Jahrgang, die es auch bis zur Endrunde geschafft hatten, waren mit ihm zusammen nach Boston zurückgefahren. Es stellte sich heraus, daß alle drei gefragt worden waren: Welche Oper ist besser, Figaros Hochzeit oder Die Zauberflöte , und warum? Einer sagte, es müsse Le Nozze sein, wegen Cherubino, der andere behauptete, er ziehe die Zauberflöte vor, aus zwei Gründen: wegen der Arien der Königin der Nacht und der Männerchöre. Sie lachten sich tot über diese Antworten. Und mir fiel nur ein, sagte Henry, daß es unmöglich sei, ein vergleichendes Urteil zu treffen, man könne auch nicht sagen, Hamlet sei besser als Der Sturm oder umgekehrt. Die Wahrheit ist, daß ich keine der beiden Opern gesehen und gehört habe. Mein Vater möchte nur in Puccini-Opern gehen! Viel bitterer war es, als die anderen Stipendien für Reisen oder ein Studium in England vergeben wurden und Henry dabei leer ausging. Eines Abends sagte er mir, er habe die Gewinner, die er alle kannte, ganz objektiv betrachtet, und er könne nicht sagen, daßman unwürdige Kandidaten ausgewählt habe; sie seien alle sehr gut, aber er sei nicht schlechter, vielleicht sogar besser. Offenbar habe jedesmal irgend etwas gegen ihn gesprochen. Was es gewesen sei, würde er gern wissen. Ich könne es nicht sagen, antwortete ich. Es sei phantastisch, wie gut er abgeschnitten habe. Er sei ohne jedes Training ins Rennen gegangen. Besonders in der Altphilologie, für die er fast keine Grundlagen gehabt habe.
    Unsinn, protestierte er. Als wir in Krakau versteckt waren, habe ich viel Latein gelernt. An meinem Latein und Griechisch ist nichts auszusetzen, so wenig wie an den Noten in meinen anderen Wahlfächern. Wenn Quantität gemessen wird, gewinne ich. Wenn Sympathiewerte gemessen werden, verliere ich. Sie mögen mich nicht. Ich bin eben anders. Ich sehe nicht so aus wie sie, ich spreche nicht wie sie, und ich spiele nicht dieselben Spiele wie sie. Sie wären mich gern los. Sie gewinnen: Ich räume das Feld, ich werde sie nicht mehr stören. Niemanden mehr!
    Er erklärte mir seinen Plan: zuerst zur Army, dann an die Law School – endlich eine Entscheidung, die meine Eltern glücklich macht, fügte er mit einem Lachen hinzu, obwohl es wieder Streit geben wird, weil ich mich nicht zurückstellen lasse, damit ich gleich mit dem Jurastudium anfangen kann. Das sei nicht zu ändern. Sein Entschluß stehe fest. Außerdem habe er sich schon freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Zur Musterung in South Boston werde er in der Woche vor der Abschlußfeier gehen. Ich fragte, ob er wirklich Jura studieren wolle. Er zuckte die Achseln. Dann sei auch noch zu klären, was er im Sommer machen werde. Wenn er seine Eltern überreden könne, ihm das Geld für die Reise zu geben, werde er mit Archie nach Spanien und Italien fahren. Du könntest doch im August in Italien zu uns stoßen, meinte er. Die Ardennen sind nicht eingeplant.
    Diese letzten Worte sagte er ganz ruhig, aber ich spürtedie Verwirrung und den Schmerz dahinter. An einem Freitag abend kurz nach den Frühlingsferien hatte Margots Hausmutter die Anwesenheitsliste und Margots Zimmer überprüft und festgestellt, daß sie sich nicht zurückgemeldet hatte und auch nicht da war. Sie kam erst am nächsten Morgen wieder. Die Befragung war nicht mühsam: Margot gab zu, daß sie die Nacht mit einem

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