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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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riet, so wie er das Land zu verlassen. Vater konnte sich am Ende einen Teil der Kunstsammlung der Familie wieder verschaffen und gab die besten Stücke dem Museum in Den Haag.
    Während ich ihr aufmerksam, aber schweigend zuhörte, spürte ich Henrys Ungeduld: Er wollte ein deutliches Zeichen, daß mich die Bilder und das Ambiente genauso tief beeindruckten wie ihn bei seinem ersten Besuch in Hornungs Wohnung.
    Nur teilweise, um ihn zufriedenzustellen, sagte ich: Margot, die Gemälde und die Möbel sind ganz wunderbar. Du hast Glück, daß du in dieser Umgebung aufgewachsen bist.
    Bevor sie antworten konnte, kam ein alter Herr mit Vollglatze und dicker, schwarz gerahmter Brille zu ihr. Währendsie ihm Henry vorstellte, warf ich einen Blick auf das Klavier und den Pianisten, der eben noch Gershwin gespielt hatte und jetzt eine Melodie anschlug, die ich nicht erkannte. Am Klavier lehnte Wilmerding. Er sah mich auch – vielleicht hatte er uns angestarrt –, blinzelte mich kurz an und blähte die Backen zu einem stummen Bronx Cheer, einem Ausdruck höhnischer Verachtung. Dann starrte er weiter durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Ich hatte mir Wilmerdings Äußeres nie genau angesehen, sondern nur festgestellt, daß seine Ohren rechtwinklig abstanden und daß seine Kleidung wirkte wie von einem englischen Schneider gemacht. Jetzt bemerkte ich eine Ähnlichkeit zwischen ihm und einem Foto, das ich vor kurzem gesehen hatte und das einen jungen, grinsenden D. H. Lawrence mit dem Anflug eines Schnurrbarts zeigte, in der Zeit, bevor er sich einen Bart wachsen ließ. Mich packte eine solche Wut, daß ich Wilmerdings Anwesenheit in dem Raum nicht ertragen konnte. Ich ging zu ihm hinüber und sagte sehr ruhig, du Scheißkerl, Wilmerding. Galt das Henry oder mir oder uns beiden?
    Er antwortete nicht, sondern starrte weiter in die Ferne, ohne eine Miene zu verziehen. Mein Champagnerglas war voll. Ich kippte ihm den Inhalt ins Gesicht. Er zuckte zusammen, öffnete und schloß den Mund, zog dann ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und trocknete sich bedächtig das Gesicht. Ich wartete auf einen Anlaß, und sei er noch so geringfügig, um ihn zu verprügeln, am liebsten hätte ich ihm die sehr weißen regelmäßigen Zähne eingeschlagen. Aber er machte keine Bewegung. Anscheinend hatte niemand auf uns geachtet. Ich trat ihm kräftig mit meinem Absatz auf den Fuß und ging.
    Margot und Henry waren in der Bibliothek. Sie lachte über etwas, sagte ihm dann etwas, und er lachte auch. Ich war froh, sie zusammen zu sehen. Mein Zorn war verflogen. Ich fragte mich, ob Wilmerding so passiv geblieben war, weil man mich für einen Schläger hielt.
    Margot sagte, kommt, wir holen uns was zu essen. Auf dem Tisch im Eßzimmer war ein Buffet aufgebaut. Sie und ich gingen voraus, Henry kam nach. Du solltest dir vielleicht erst etwas Champagner geben lassen, flüsterte sie mir zu. Ich hab gesehen, wie du dein Glas geleert hast.

XX
    Nach Weihnachten begann Mrs. White, mich gelegentlich anzurufen. Ich erzählte ihr, dies erinnere mich an mein Anfangsjahr im College. Ihr erster Anruf war ein Dank für meinen Dankbrief, den ich gleich nach meiner Ankunft in Cambridge geschrieben hatte. Sie wollte mir sagen, daß alle Mütter so höfliche, ausdrucksfähige Söhne wie mich haben sollten. Dann ging sie zu Fragen nach Henry über. Ob er hart arbeite? Vielleicht zu hart? Ob er gesund aussehe? Genug Schlaf habe? Eine freche Antwort im Stil von: Soll ich Henrys Hüter sein, hatte ich nicht mehr parat, die Zeiten waren lange vorbei; jetzt beruhigte ich sie, so gut ich konnte, ohne gewaltig zu übertreiben, und erzählte, was ich von Henrys täglichen Aktivitäten wußte. Allerdings bat ich sie wohl auch um Verständnis dafür, daß ich ebenfalls aus verschiedenen Gründen sehr hart arbeiten müsse und selbst für meine engsten Freunde nur wenig Zeit hätte. Meine Abwehr entmutigte sie jedoch nicht, in der Folgezeit rief sie mich ohne einen Vorwand an; sie erklärte mir einfach, daß sie über ihren einzigen Sohn sprechen wollte. Ob es ihm wirklich gutgehe? Ab und zu konnte ich zeigen, daß ich die wichtigsten Fakten wußte. So gratulierte ich ihr, weil ich gerade erfahren hatte, daß einer der Gutachter für Henrys Examensarbeit, John Younger, ein angesehener Latinist, dem Journal of Roman Studies dringend empfohlen hatte, diese Arbeit zu veröffentlichen. Das war eine außergewöhnliche Ehre. Henry hatte analysiert, wie Horaz die Regeln der

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