Ehrensachen
Mann in einem Hotel in Boston zugebracht hatte. Obwohl es nur noch zwei Monate bis zu ihrem Abschlußexamen waren und obwohl sie die Fragen der Hausmutter ehrlich beantwortete, reagierte die Verwaltung schnell und endgültig. Margot mußte das College verlassen. Henry sagte, daß sie in Schwierigkeiten war, habe sie ihm schon am Samstag abend erzählt, aber nichts Genaueres. Als ihr dann der Beschluß der Verwaltung mitgeteilt worden war, rief sie ihn an und fragte, ob sie zu ihm ins Haus kommen könne, um mit ihm zu reden. Einmal hatte sie ihm gesagt, daß sie in seinem Zimmer gern nackt sei; auch diesmal ließ sie ihre Kleider zu Boden gleiten und behielt nur ihren Slip an, als er sie aber bat, mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen, biß sie sich auf die Unterlippe und schüttelte heftig den Kopf. Sie setzte sich in einen Lehnstuhl im Wohnzimmer und ließ sich nicht von ihm anfassen; erst als er auf dem anderen Stuhl saß, erzählte sie ihm, daß ein Mann namens Ross, ein Studienfreund Etiennes aus Hartford, sie zum Dinner ins Ritz eingeladen hatte. Sie hätten Martinis getrunken und dann eine Flasche Wein. Nach dem Essen bezahlte er und sagte dann, ohne daß er vorher einen einzigen Annäherungsversuch gemacht hatte – nicht einmal ihre Hand hatte er gehalten –: Komm mit auf mein Zimmer. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, gestand Margot Henry. Ich habe getan, was er sagte. Ich hätte wissen müssen, daß es sich nicht lohnt.
Dann wollte sie mit mir ins Bett, damit wir uns zärtlich verabschieden könnten, fuhr Henry fort, aber bis zum Endegehen wollte sie nicht. Es sei nicht die richtige Zeit, sagte sie. Ich weiß, was in sie gefahren ist, als sie sich mit diesem Kerl einließ, diesem Ross. Eine Schlampe ist sie.
Ich blieb stumm.
Du bist überrascht, sagte Henry. Das war ich auch. Als sie wieder angezogen war und als ich sie aus der Besucherliste ausgetragen hatte, erklärte sie mir, nun müsse Schluß sein, so könnten wir nicht weitermachen. Warum, fragte ich sie und sagte dann, ich würde sie zu ihrem Wohnheim bringen. Sie nickte. Keiner von uns sagte etwas, während wir durch die Grünanlage gingen. Mir war schwindlig. Unterwegs fiel mir ein, daß unsere Schuldkonten angenehm ausgeglichen gewesen waren, solange sie Etienne und ich Madeleine hatte. Dieser Kerl Ross hatte alles aus der Balance gebracht. Gleichzeitig fragte ich mich, warum das einem unmoralischen Menschen wie mir etwas zu schaffen machen sollte. Konnte man wissen, ob ich nicht am Tag, nachdem sie nach New York abgereist war, das erstbeste bereitwillige Radcliffe-Mädchen nageln würde? Der Unterschied war nur, daß ich von Etienne und jetzt von Ross wußte, während sie keine Ahnung von Madeleine haben konnte. Ich war in Versuchung, es ihr zu sagen, aber irgend etwas hielt mich zurück. Ich fragte sie noch einmal: Warum? Brichst du jetzt mit Etienne? Ja, antwortete sie, ich habe ihm das mit Ross schon geschrieben. Ich habe den Brief auf dem Weg zu dir in den Briefkasten gesteckt. Großer Gott, schrie ich, willst du mir endlich erklären, was das soll? Sie nickte. Alles um sie herum sei unrein geworden. Sie stecke mit Etienne, mit mir, mit allen bis zum Hals im Dreck. Das mache sie nicht mehr mit. Aber wegen Bayencourt müsse ich mir keine Sorgen machen. Etienne habe sie nichts von mir erzählt, werde es auch nicht tun. Ich brachte sie bis zu ihrer Tür. Sie bot mir ihre Wange zum Kuß. Seither war nichts mehr.
Das Kapitel Bayencourt war jedoch noch nicht erledigt.Während der Vorbereitungsphase am College kam ein Brief von Mr. van Dammes Sekretärin mit der Bitte um Bestätigung der Ankunftszeit. Henry gestand mir, er könne sich nicht überwinden, hinzufahren. Alles sei zu sehr mit Margot verknüpft. Auch gehe ihm, so absurd es sei, Margots Urteil über ihre Beziehungen mit Etienne und mit ihm nicht aus dem Kopf: daß sie unrein geworden seien. Was würde sie erst über Madeleine sagen? Zwei Tage später schrieb er Mr. van Damme, daß seine Einberufung unmittelbar bevorstehe und daß er keine Pläne für den Sommer machen könne. Da habe ich es mit der Wahrheit nicht ganz genau genommen, gab er zu, denn ich habe ihnen nicht gesagt, daß ich mich freiwillig gemeldet habe und frühestens im Oktober fällig bin. Aber das sind Kleinigkeiten. Ich habe auch an Madeleine geschrieben. Einen netten Brief. Ich würde hoffen, daß ich im Anschluß an die Grundausbildung nach Europa geschickt werde, habe ich ihr gesagt.
Für mich war das
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