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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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akademische Jahr vorbei. Die meisten Examenskandidaten blieben jedoch noch bis zur Abschlußfeier, die Anfang Juni stattfinden sollte, in Cambridge. Ich fand es sonderbar, daß ich nicht mit Henry, George und den anderen Männern, mit denen ich am College angefangen hatte, Examen machte. Aber ich war noch immer in Cambridge und hatte mich bei Madame Shouvaloff einquartiert, weil meine Wohnung in den Semesterferien erst für einen Alumnus reserviert war, der zu seinem Ehemaligentreffen kam, und dann für Studenten, die sich zu den Sommerkursen angemeldet hatten. Ich plante, Cambridge nicht gleich zu verlassen, nachdem Dr. Reiner in seine sakrosankten Ferien aufgebrochen war. Ich hoffte, solange ich noch unter Madame Shouvaloffs Dach wohnte, mein Buch abschließen zu können, so daß ich Archie MacLeish im Herbst ein vollständiges Manuskript zeigen konnte. Auf Henrys Bitte verschaffte Tom Peabody mir eine Einladungzum festlichen Mittagessen für die Examenskandidaten und ihre Familien im Innenhof des Hauses. An unserem Tisch saß eine bunt zusammengewürfelte Gruppe: Henry und Archie mit ihren Eltern und Tom und ich. Der Hausherr kam zwischen Hauptgang und Dessert zu uns. Als Tom ihm seinen Platz räumen oder einen zusätzlichen Stuhl holen wollte, winkte er ab, ging neben Mrs. White in die Hocke und flüsterte ihr laut und vernehmlich genug für alle am Tisch ins Ohr, Henry sei der strahlendste Diamant im Diadem des Hauses und eine Quelle unendlichen Stolzes für ihn persönlich. Die Lobrede, die er nach dem Dessert vom Stapel ließ, als er Henry das Diplom aushändigte, triefte womöglich noch salbungsvoller. Als der Beifall verklang, beugte sich Mrs. White, unter ihrem riesigen weißen Hut eine leuchtende Spielart von Scarlett O’Hara, so weit zu mir herüber, wie es der Hut erlaubte, und sagte mir etwas ins Ohr: Ich bin sehr verstört wegen Mrs. Palmer und des Generals. Als der Master kein Wort über ihren Sohn sagte, bin ich fast gestorben. Sie müssen sich furchtbar gedemütigt fühlen. Ich warf einen Seitenblick auf Mrs. Palmer, die mir mehr denn je wie eine Krankenschwester vorkam. Sie hatte ihr Schokoladenparfait verzehrt und aß nun sehr zufrieden Archies Portion. Was den General anging, so hatte er seine eigene Meinung von den Dingen und von Archie vermutlich auch. Als ich vor dem Essen bei einem Sherry mit ihm plauderte, sagte er, Harvard-Studenten seien in seinen Augen ein verweichlichter Haufen und die Abschlußfeier eine entsprechend blutarme Angelegenheit. Ihr Kerle habt keinen Kampfgeist, nicht das, was an der Academy selbstverständlich ist; könnt nicht mithalten mit unseren guten Kadetten, da fehlt euch was. Achtung, Standish: Dien Bien Phu ist gefallen, der Franzmann kaputt. Wer jetzt dran ist, wissen Sie.
    Allgemeine Aufbruchsstimmung machte sich bemerkbar.Ich half Mrs. White beim Aufstehen, sagte ihr noch einmal, sie sehe sehr schön aus, und versicherte ihr, daß sie sich um die Palmers keine Sorgen machen müsse. Ich kann nicht anders, erwiderte sie. Ich mache mir um alles Sorgen. Sagen Sie mir die Wahrheit: Habe ich einen wunderbaren Sohn?
    Mrs. White spielte ihren Mann ständig an die Wand. Ihm schien es nichts auszumachen, aber es hatte dazu geführt, daß ich noch kein Wort mit ihm gewechselt hatte. Um das Versäumte wiedergutzumachen, sagte ich beim Abschied, er sei sicher sehr stolz auf Henry. Mr. White lächelte glücklich und bestätigte mir, er sei besonders froh, daß Henry sich nun doch für die Law School entschieden habe. Wissen Sie, ich habe selbst Jura studiert und hätte Anwalt sein können, fügte er hinzu. Ich versicherte ihm, Henry habe mir seine Geschichte erzählt.
    Dann wissen Sie, wie es ist, sagte er. Für meine Frau und mich ist nichts so gekommen, wie wir es erwartet, wie unsere Eltern es gewollt hätten. Jetzt haben wir nur noch eine Hoffnung: daß Henry etwas aus sich macht, daß er wirklich Glück und Erfolg hat. Ich habe hart gearbeitet, um ihm das zu ermöglichen.
    Ich nickte. Er umschloß mit beiden Händen meine Hand, drückte sie, zögerte einen winzigen Moment, reckte sich dann und küßte mich auf beide Wangen.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, Cousine May durch das Fogg zu führen und ihr die Glasblumen im Peabody-Glasmuseum zu zeigen, während George und sein Vater an einer Feier des vornehmen Studentenclubs teilnahmen, in dem sie beide Mitglieder waren. Dann packten George und ich den größten Teil seiner Habe in Cousin Jacks Kombi und den

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