Ehrenwort
meistens im Kino zu hocken.
Sehr schlechtgelaunt verzog sich Harald schließlich ins Bett, wollte die Zeitung lesen, blieb bei einem hämischen Leserbrief über die Unfähigkeit der Stadtverwaltung, insbesondere des Tiefbauamtes, hängen und fragte sich immer wieder, wo eigentlich Petra steckte. Als ihm gegen Mitternacht plötzlich einfiel, dass heute die Lesung einer bekannten Schriftstellerin war, kam Petra zur Tür herein.
»Warum bist du denn nicht gekommen?«, fragte sie vorwurfsvoll und kickte ihre Stiefel in die Ecke. »Alle haben nach dir gefragt! Du hast wirklich viel versäumt, sie war einfach großartig. Hinterher waren wir noch beim Italiener, da hättest du dich gut unterhalten! - Max kam leider viel zu spät, aber wenigstens hat er geholfen, die Klappstühle in den Keller zu schleppen.«
Sie verschwieg, dass Max einen Hunderter dafür erhalten hatte.
Harald hörte nichts als Aggression aus ihren Worten heraus.
»Ich habe - wie befohlen - nach Vater gesehen«, sagte er. »Meinst du, das hätte mir Spaß gemacht?«
Er griff nach Teelöffel und flüssigem Tranquilizer, den ihm Dr. Ofenbach verschrieben hatte. Die Tropfen konnte er so schwach dosieren, dass er schnell einschlief und am nächsten Tag fit war. Dann löschte er das Licht.
Im Traum saß er mit seinem zum Skelett abgemagerten Vater zusammen und trank Cognac. Als er durch einen lauten Seufzer seiner Frau wach wurde und auch blieb, traute er sich nicht, zum zweiten Mal die Tropfen einzunehmen. Er wälzte sich schlaflos im Bett. Alle möglichen Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf.
Der Alte hatte fast nie Bier getrunken, das er als bayerisches Proletengesöff bezeichnete. Mit seiner Frau trank er sonntags immer ein paar Gläser Wein, aber nach ihrem Tod hatte er sich das abgewöhnt. Es gab kein gutes Essen mehr, zu dem ein edler Tropfen gepasst hätte. Gegen Whisky, Wodka, Obstler oder Slibowitz hatte er jedoch nichts einzuwenden. Sein »wärmstes Jäckchen« war aber ein »Kon-Jäckchen«, wie er gern kalauerte, und er konsumierte es regelmäßig und nicht zu knapp.
Wenn man ihm sein Lieblingsgetränk anböte, würde er sicher nicht nein sagen. Und wenn man den braunen Drink ein wenig anreicherte - etwa mit dem flüssigen Schlafmittel -, dann würde es der Alte überhaupt nicht merken. In diesem hohen Alter konnte ein langer und tiefer Schlaf durchaus in einen ewigen übergehen.
Die Eltern waren schon beide fort, als Schwester Kriemhild am Freitag gegen neun Uhr morgens hereinstapfte.
»Es ist höchste Zeit, dass er gebadet wird!«, rief sie. »Wofür haben wir denn den Lift!«
Max sah zu, wie sie Wasser einlaufen ließ und den schweren Apparat auf den Wannenrand hievte. Sie leierte eine kurze Erklärung herunter: Ohne sich über Gebühr anzustrengen, konnten die Patienten auf der Sitzfläche Platz nehmen und wurden dann langsam bis auf den Wannenboden abgesenkt. Max sollte daran denken, den Akku des Badewannenlifts regelmäßig aufzuladen.
»Weil es das erste Mal ist, könnten Sie mir bitte ein wenig helfen«, sagte sie. »Er wird sich nämlich sträuben. Aber wenn sie sich erst einmal im warmen Wasser aalen, sind die meisten alten Leutchen richtig glücklich.«
Wie zu erwarten, gab es heftigen Protest.
»Bin ich denn so dreckig, dass ich das nötig habe?«, fragte der Alte, und Max bejahte lachend. Es war allerdings keine einfache Prozedur, den Kranken ins Bad zu rollen, auszuziehen und schließlich zu fluten. Aber Schwester Kriemhild hatte recht - als er endlich vom heißen Wasser umspült wurde, lächelte er wie ein satter Säugling.
»Wir lassen ihn jetzt ein paar Minuten spielen«, sagte die Schwester. »Bleiben Sie bitte bei ihm, ich beziehe unterdessen das Bett.«
Max rümpfte die Nase.
»Es riecht nach nassem Hund!«, stellte er fest.
»Für heute hat er genug geleistet«, meinte die Pflegerin. »Aber ab morgen werde ich damit beginnen, ihn zu mobilisieren. Tag für Tag lassen wir ihn ein Stück weiter am Rollator laufen. Sie werden sehen, in ein paar Wochen braucht er nur noch eine Krücke.«
Als sie ging, hatte die wackere Schwester Kriemhild einen Haufen schmutziger Wäsche hinterlassen.
»Ich fühle mich wie neugeboren«, sagte der Alte. »Seltsamerweise war das Bad die reinste Wohltat, doch jetzt ist ein Nickerchen fällig.«
»Sag mir vorher bloß noch, was du heute essen willst«, verlangte Max.
»Hühnerfrikassee mit Reis, und danach eine Zigarre. Wenn du sowieso einkaufen musst, dann bringe bitte
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