Ehrenwort
Schierlingsbecher in seiner Gegenwart geleert hätte.
Bevor er selbst ins Bett ging, öffnete Harald noch rasch die Tür des Krankenzimmers und spähte hinein. Es war stickig und dunkel im Raum, sein Vater atmete tief und schlief wohl fest, soweit man das ohne Beleuchtung feststellen konnte. Anscheinend lief alles nach Plan. Tabula rasa, dachte Harald, so viel Latein kann ich auch. Und wie war noch das Ende beim König von Thüle! - Trank nie einen Tropfen mehr.
Am nächsten Morgen musste er früher als sonst aus dem Haus, weil er einen Termin in der nächsten Kreisstadt hatte. Zu seiner Verwunderung wirtschaftete Max bereits in der Küche herum: Auf Petras heiligem Silbertablett standen eine Tasse Kaffee, ein Marmeladenbrötchen, Milchkännchen, Zuckerdose, der Salzstreuer und ein gekochtes Ei.
»Für Opa«, sagte er. »In letzter Zeit nimmt er bestimmt zu, denn er verdrückt fast mehr als ich.«
Damit ist es jetzt vorbei, dachte Harald. Für dieses Frühstück wird ihn hoffentlich keiner mehr wachkriegen. Und sonst musste man die Dosis eben erhöhen. Wenn Max jetzt gleich auf eine Leiche stieß, sollte er das als künftiger Altenpfleger ja noch verkraften.
Harald steckte noch schnell einen Apfel in die Aktentasche und verließ das Haus.
Petra hatte es nicht so eilig, der Laden öffnete erst um neun. Kurz bevor sie startete, traf sie auf Schwester Kriemhild, deren Ankunft nicht zu überhören war. Aber immer noch besser als Jennys lautloses Anschleichen.
»Mein Sohn soll heute die Fleece-Anzüge besorgen«, sagte sie. »Ich denke, im Sanitätshaus wird man solche Artikel erhalten.«
»Und in jedem guten Wäschegeschäft«, sagte die Schwester und stapfte die Treppe hinauf.
Willy Knobel hatte das Brötchen nur angebissen, das Ei mochte er schon gar nicht anrühren. Als es klopfte, knurrte er: »Domina ante portas!«
Die Pflegerin nahm das Tablett vom Nachttisch.
»Sie haben ja kaum etwas gegessen! Kein Appetit? Und was ist mit dem Glas?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Tun Sie's weg«, sagte er. »Das ist von gestern. Mein Sohn hat es hier stehengelassen. Leider muss ich jetzt ganz dringend auf den Thron!«
Während er sich auf dem Toilettenstuhl abmühte, hängte die Schwester seine Bettdecke zum Lüften über das Balkongeländer, trug das Tablett aus dem Zimmer und stellte es im Flur auf die dunkle Eichentruhe. Schließlich lobte sie den Alten wie ein Kleinkind, zog ihm frische Windeln und einen Bademantel an und ermunterte ihn, am Rollator quer durch das Zimmer zu laufen.
»Wahrscheinlich habe ich gestern zu viel gegessen«, sagte der Alte, dem kalter Schweiß auf der Stirn stand. »Mir ist ein bisschen übel.«
Also lag er schnell wieder im Bett und starrte mutlos an die Decke. Schwester Kriemhild wünschte gute Besserung, tätschelte ihm den Bauch und verabschiedete sich. Im Flur stand das Tablett mit dem fast unangetasteten Frühstück. Schade um den Cognac, dachte sie und kippte ihn hinunter.
Am späten Vormittag fragte Max den Großvater nach seinen Wünschen. Inzwischen hatte er im Supermarkt ein breites Angebot an Fertiggerichten entdeckt.
Er wollte dem Opa gern eine Freude machen. Nur durch ihn hatte er schließlich Jenny kennengelernt. Sie hatte immerhin bei einer anrührenden Filmszene seine Hand ergriffen und die ganze Zeit nicht mehr losgelassen.
»Junge, heute lassen wir das Mittagessen lieber ausfallen«, sagte der Großvater. »Mir ist ein bisschen schlecht. Vielleicht schlafe ich einfach noch eine Runde.«
Max war es recht. Er würde jetzt die Fleece-Anzüge und die bewährten Puddingbecher besorgen, das Zeug rutschte anscheinend besser als alles andere hinunter. Als er später eine erneute Visite machte, war sein Großvater offensichtlich leicht verwirrt.
»Ilse war noch gar nicht hier«, sagte er, »sie sucht wohl wieder ihre Katze.« Max sagte nichts dazu.
»Sie hat es ja schwer, meine Ilse«, sagte der Großvater. »Sie liebt ihren Tiger, und sie liebt Vögel. Kann das gutgehen?«
»Opa, es gibt unendlich viele Vögel. Wenn die Katze mal einen Spatz erwischt, geht die Welt nicht unter.«
Den Rest des Tages brachte Max mit Computerspielen rum. Er war allerdings nicht bei der Sache, sondern dachte nur an Jenny. Auch sein Vater machte sich neuerdings Gedanken, rief an und erkundigte sich beiläufig nach dem Alten.
»Er spinnt ein bisschen und fragt nach Oma«, sagte Max. »Und ausnahmsweise hat er keinen Appetit. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen,
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