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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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völlig harmlos.«
    Harald wollte es so einrichten, dass er gleichzeitig mit der blonden Pflegerin eintraf. Er freute sich darauf, von Jenny angestrahlt zu werden. Fast ein bisschen schade, wenn ihre Besuche demnächst wegfielen! Der Alte hatte anscheinend eine Bärennatur, wenn er nach einem derart gewürzten Schlaftrunk bloß ein wenig halluzinierte und keinen Hunger hatte. Zwar war Harald etwas enttäuscht über das fehlende Resultat der Cognac-Methode, aber längst noch nicht entmutigt.
    Natürlich konnte eine Pflegerin nicht immer pünktlich kommen. Mal musste ein Patient außer der Reihe gewaschen oder gebadet werden, mal gab es ein Gespräch mit den Angehörigen, oder ein Kranker brauchte Hilfe beim Essen. Andererseits fielen treue Stammkunden plötzlich weg, weil sie in der Klinik oder gar auf dem Friedhof gelandet waren. Harald musste sich damit abfinden, dass der Firmenwagen noch nicht dastand, als er zu Hause ankam. Auf keinen Fall wollte er vor der Tür herumlungern und auf Jenny warten. Was sollte Petra davon halten, mit der in letzter Zeit sowieso nicht gut Kirschen essen war.
    Als die Haustür schließlich leise geöffnet wurde, stürzten Vater und Sohn aus verschiedenen Richtungen hervor, um die Ersehnte zu begrüßen. Jenny weinte.
    Harald legte tröstend den Arm um die junge Frau, Max stand ratlos daneben.
    »Na, was ist denn los?«, fragte Harald. »Fix und fertig? Kann es sein, dass Sie dringend Urlaub brauchen?«
    Jenny schniefte. »Die Kriemhild«, brachte sie heraus.
    »Was ist los mit ihr?«
    Nun erfuhren sie, dass die Kollegin einen Autounfall gehabt hatte und schwerverletzt im Krankenhaus lag.
    »Heute Morgen ist es passiert«, schluchzte Jenny. »Auf dem Rückweg von euch ist sie mit einem LKW kollidiert. Es muss ganz schlimm gekracht haben!«
    »Und wer kümmert sich nun um meinen Vater?«, fragte Harald.
    Jenny putzte sich die Nase. »Das wird natürlich geregelt, wir sind schließlich eine verlässliche Truppe. Es gibt zum Beispiel auch noch Schwester Heidi.«
    Leider konnte Max nicht allzu lange in Jennys Nähe bleiben, denn seine Mutter rief schon bald zum Abendessen. Nun erfuhr auch Petra die Hiobsbotschaft.
    »Schade, dass es nicht die blonde Barbiepuppe erwischt hat«, sagte sie trocken. »Kriemhild war um Welten besser - erfahren und zupackend.«
    »Das ist die Kleine aber auch«, widersprach Harald. Max wurde ganz blass, manchmal hätte er seine Mutter würgen können. Aber sie war nun mal spontan und direkt, bisweilen taten ihr ihre unbedachten Worte selbst leid, und sie entschuldigte sich. Und warum sprachen sein Vater und Großvater immer nur von »der Kleinen«, wo sie doch einen Namen hatte.
    »Dem Opa geht's nicht gut«, sagte er nach einer Weile. »Er hat mittags und abends nichts gegessen, nicht einmal Pudding.«
    Harald und Petra tauschten einen zufriedenen Blick.
    »Bin gespannt, wer morgen als Vertretung kommt«, sagte Petra. »Irgendwie ist es mir unheimlich, wenn noch weitere Menschen den Schlüssel für unser Haus erhalten. Und deswegen hätte ich nichts mehr dagegen, wenn Vater in ein Hospiz verlegt wird.«
    »Jetzt ist es leider zu spät! Wenn wir ihn wegbringen, wird er mich enterben«, sagte Harald. »Das hat er klar und deutlich formuliert. Die reinste Erpressung.«
    Max feixte. »Ganz schön clever!«, meinte er. Und im Stillen dachte er: Wahrscheinlich würde dann Tante Karin den Löwenanteil erben, aber sicherlich blieb auch etwas für Mizzi und ihn selbst. Neulich hatte er sich den Schmuck seiner Großmutter angeschaut, der aus zwei Bernsteinketten und einigen hässlichen Broschen bestand. Sollte seine australische Tante damit glücklich werden, das Verscherbeln lohnte sich kaum.
    Überhaupt gab es da ein Problem. Egal, ob das Haus des Alten nun verkauft oder vermietet würde, es müsste erst einmal ausgeräumt werden. Zuvor würden seine Eltern eine Razzia machen und sich alles unter den Nagel reißen, was sie brauchen konnten, vielleicht käme sogar Tante Karin angeflogen. Danach müsste ein Trödler zum Entrümpeln eingeschaltet werden. Es war sicher klug, wenn Max schon vorher seine Schäfchen ins Trockene brachte. Vielleicht ließe sich ja mit Falko ein entsprechender Deal machen?
    »Träumst du, Max?«, fragte seine Mutter. »Wenn du nichts mehr essen möchtest, kannst du den Tisch abdecken.«
    Er war froh, aufstehen zu können. Jenny war natürlich längst nicht mehr da, aber er besaß seit gestern ihre Handy-Nummer. Beim Einsortieren der

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