Ehrenwort
Spülmaschine dachte er über seine Mutter nach, die anschließend bestimmt wieder die Teller von der rechten auf die linke Seite räumen würde, weil sie mit seiner Ordnung nie zufrieden war.
Während sein Vater als Absteiger seiner Familie galt, weil er sich nur für Unterirdisches interessierte, war seine Mutter eine Aufsteigerin, die als Erste ihres Clans Abitur gemacht hatte. Max war die Ahnentafel zwar gleichgültig, aber es interessierte ihn immer mehr, warum seine Eltern so seltsame Wesen geworden waren.
Am nächsten Morgen tauchte relativ spät eine völlig neue Pflegerin auf, die sich mit unverkennbarem Akzent als Elena vorstellte. Eine kleine Person, dunkelhaarig und temperamentvoll. Max musste sie einführen. Schon in aller Frühe hatte sie im Krankenhaus die verletzte Kriemhild aufgesucht und sich den Knobeischen Hausschlüssel aushändigen lassen.
»Wie geht's Ihrer Kollegin?«, fragte Max höflich.
Elena hatte Tränen in den Augen: »Kopf kaputt!«, sagte sie.
Max erfuhr, dass sich auch der LKW-Fahrer bei diesem schweren Unfall einen Arm gebrochen hatte und die Polizei bei beiden Teilnehmern eine Blutprobe veranlasst hatte.
Der Alte musterte die neue Pflegerin mit kritischem Blick. Er war immer noch nicht ganz bei Trost, fand Max, denn er machte eine peinliche Bemerkung über ihren üppigen Busen.
Elena konterte die Anzüglichkeit mit Humor, ihr machte kein seniler Greis etwas vor. Max konnte es kaum fassen, als sie den Großvater ein wenig kitzelte, bis er wider Willen lachen musste und sich seine Nussknacker-Miene entspannte.
»Eigentlich könntest du dich mit ihr auf Lateinisch unterhalten«, sagte Max, als Elena gegangen war. »Sie ist Italienerin.«
»Latein mit einem Flittchen? Du machst Witze!«
»Also mal ehrlich - wie gefällt sie dir?«, fragte Max. »Ich finde sie recht lustig.«
»Ich nicht, aber de gustibus non est disputandum - jeder nach seinem Geschmack. Immer noch besser als die Walküre«, sagte er. »Doch die Kleine ist und bleibt mein Schätzchen; die ist echt scharf. Und nun gib mir die Kopfhörer!«
Max war noch im Raum, als sein Großvater bereits über einen Moderator losschimpfte.
»Wenn ich so etwas schon höre: Noch und nöcher! Die sollen erst einmal richtig Deutsch lernen!«
Auch Harald hatte sich - durch seine Beziehungen zu Polizei und Ordnungsamt - nach dem Unfallhergang erkundigt.
»Die Frau hatte die alleinige Schuld, vielleicht gab es da ein Alkoholproblem«, sagte man ihm unter vier Augen. »Wenn man schon am Vormittag einen gewissen Pegel aufweist...«
Harald wurde nachdenklich. Trunksucht passte nicht zu der zuverlässigen Pflegerin, als die Schwester Kriemhild galt. Siedend heiß fiel ihm der Cognac ein. Konnte die Pflegerin das Glas am Morgen ausgetrunken haben? Was für ein Glück, dass niemand davon wusste. Hoffentlich überlebte die arme Frau.
Mizzi hatte ein großes Herz, auch wenn sie es vor ihrer Familie meistens verbarg. Nach dem letzten Gespräch mit ihrem Bruder rief sie ihrerseits an und fragte nach seinem Befinden.
»Ich hatte neulich das Gefühl, dass dir alles über den Kopf wächst«, begann sie. »Nicht nur die Eltern sitzen dir im Nacken, sondern jetzt noch der Opa! Ich könnte dir in Berlin ein Zimmer besorgen ...«
»Aber mir geht es doch bestens«, widersprach Max. »Mit Opa kam ich schon immer klar! Heute werde ich mit ihm Laufen üben.«
»Du machst Sachen!«, meinte Mizzi staunend. »So kennt man dich gar nicht.«
»Was macht die Uni?«, fragte Max.
»Scheiße«, sagte seine Schwester, »im Moment ist es wie in der Schule. Das reinste Bulimie-Lernen.«
»Wie bitte?«
»Vor der Prüfung schlingt man alles in sich hinein und würgt es beim Examen wieder heraus.
Übrigens hat mich Papa neulich angerufen. Er glaubt immer noch, ich käme bald wieder reumütig nach Hause zurück. Wir haben schon merkwürdige Eltern!«
In diesem Punkt gab ihr Max natürlich recht. Dann redete er mit seiner Schwester noch ein wenig über gemeinsame Lieblingsbücher aus Kindertagen, über die Märchenstunden bei der Großmutter und über die seltsame Wandlung des Tyrannen zum gütigen Großvater.
»Übrigens haben wir uns eine Katze zugelegt«, erzählte Mizzi. »Sie sieht fast so aus wie Omas Tiger.«
»Als Ersatz für ein Kind?«, fragte Max.
»Überlass die Küchenpsychologie lieber mir«, meinte Mizzi.
»Durchschaut man die Menschen eigentlich besser, wenn man Psychologie studiert?«, fragte Max.
»Schön wär's«, sagte Mizzi.
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