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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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dass Kevin dieses Vertrauen ausnutzen und ihm eines Tages das Handy stehlen würde.
    Max galt bei den Lehrern und Sozialpädagogen als zuverlässig und engagiert und durfte gelegentlich den einen oder anderen Jungen in die Stadt oder zu Angehörigen begleiten. Eines Tages fuhr er Kevin nach Bruchsal, wo sein Vater in der Justizvollzugsanstalt einsaß. Einmal im Monat durfte Kevin seinen Papa besuchen. Dort musste es passiert sein, dass Kevin seinem Vater das begehrte Objekt hinter dem Rücken des Auf Sichtspersonals aushändigte. Max hatte noch genau vor Augen, wie sie durch die hohen Mauern in die Strafvollzugsanstalt hineingelangt waren. Hinter einer Glasfront saßen zwei graugekleidete Uniformierte, denen sie den Personalausweis durch einen Schlitz durchreichen mussten; die Daten wurden in einen Rechner eingespeist. Später erfolgte eine kurze Leibesvisitation, wobei es Max nie klargeworden war, wo Kevin das kleine Handy versteckt hatte - am ehesten noch kamen seine Stiefel in Frage.
    Jener schwarze Tag war der Anfang seiner verhängnisvollen Bekanntschaft mit Falko. Max hatte ihn nur kurz begrüßt und sich dann verzogen, um Vater und Sohn nicht weiter zu stören. Die beiden saßen sich gegenüber, die Tische neben ihnen waren mit traurigen Frauen oder Familienmitgliedern besetzt, die das Oberhaupt ihres Clans besuchten.
    Während sich Max im Hintergrund mit einem Beamten unterhielt, fiel ihm auf, dass man offenbar über ihn sprach und sich mehrmals nach ihm umdrehte. Max wertete es positiv - Kevin berichtete seinem Vater bestimmt, dass er im Heim einen älteren Freund gefunden habe, auf den er bauen könne. Heute konnte Max kaum begreifen, wie naiv er damals gewesen war.
    Bereits an jenem Abend klingelte das Telefon seiner Eltern, die aber nicht zu Hause waren. Es war Falko, der sich artig bei Max bedankte. Er mache sich große Sorgen um seinen Sohn, dem er nach dem Schulabschluss eine gute Ausbildung ermöglichen wolle. Er selbst werde erst in einem Jahr entlassen und sei nicht in der Lage, sich darum zu kümmern. Vor allem fehle ihm Geld, um Kevin für ein paar Monate nach England zu schicken, aber da gebe es durchaus eine Möglichkeit. Nur kenne er keinen außerhalb des Knasts, dem er wirklich vertrauen könne. Dann verabschiedete er sich und ließ Max Zeit, über diese Worte nachzudenken. Nie wäre Max auf die Idee gekommen, dass er mit dem eigenen Handy, auf dem die elterliche Nummer natürlich gespeichert war, angerufen wurde. Er vermisste es erst einige Tage später. Das war nun fast zwei Jahre her, und seitdem hatte sich einiges ereignet.

    Diesmal hatte er Glück. Falko wartete in Heidelberg bereits in der Tiefgarage, hatte wenig Zeit, stieg nicht einmal vom Motorrad und warf bloß einen kurzen Blick auf die vier Scheine.
    »Bingo«, sagte er, stopfte das Geld in die Brusttasche und zischte ab.
    Max fuhr erleichtert nach Dossenheim. Dort lud er den Ohrensessel mühsam in seinen Wagen, holte den Zigarrenvorrat aus dem Buffet und stöberte noch ein wenig in den Schubladen herum. Opa war früher ein ordentlicher Mensch gewesen, wenn er es auch in den letzten Jahren nicht mehr so genau genommen hatte. Da fand sich eine schmutzige Gabel bei den Schreibsachen, eine halbleere Pillenschachtel bei den Gläsern und ein Brief bei der Unterwäsche. Auch ein handgeschriebenes Testament lag im Sekretär, allerdings war es bereits kurz nach dem Tod seiner Frau ausgestellt worden. Max konnte nichts Besonderes darin entdecken - es ging dem Alten hauptsächlich darum, dass er eingeäschert und die Urne neben seiner Ilse bestattet werden sollte. Seine beiden Kinder Harald und Karin sollten das Haus erben, Mizzi und Max würden eine Summe - hier gab es eine Leerstelle - für ihre Ausbildung erhalten, die australischen Enkel wurden nicht berücksichtigt. Vielleicht hatte er sie einfach vergessen.

    Der Alte freute sich wie ein Kind über den Sessel, noch mehr aber über die Zigarren.
    »Dann wollen wir doch gleich mal«, sagte er. »Hast du auch an Streichhölzer gedacht?«
    »Nicht im Bett, Opa«, sagte Max, half seinem Großvater erst auf die Beine, dann in den Sessel und gab ihm Feuer. Schließlich hüllte er den Alten in die Bettdecke und machte die Balkontür auf. Draußen war es seit ein paar Tagen frühlingshaft warm.
    »Fabelhaft«, sagte der Alte und paffte vor sich hin. »Aber es schmeckt irgendwie anders. Ist das auch meine Sorte?«
    »Natürlich, aber mach schnell. Mama und Papa brauchen dich nicht unbedingt so

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