Ehrenwort
alle unter die Erde bringen.
Als Willy Knobel seiner Schwiegertochter am nächsten Tag an zwei schäbigen Krücken entgegenhumpelte, sah Petra dies als Fingerzeig des Schicksals.
»Die hat mir meine gute Elena mitgebracht«, sagte er stolz. »Sie gehörten einem gewissen Edoardo, der sie nicht mehr braucht. Mit dem dämlichen Rollator kann ich mich überhaupt nicht anfreunden, aber mit einer Krücke möchte man beinahe Seeräuber spielen.«
Petra lächelte freundlich. Unter solchen Umständen war ein Unfall sicherlich leicht zu provozieren, denn es sah recht wacklig aus, wie der Alte so daherzuckelte.
»Ist dein getreuer Max nicht da?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht, aber ich brauche ihn zum Glück nicht ununterbrochen. Ich übe jetzt täglich auf dem Flur, selbst ist der Mann!«
Max würde ihm die Gehversuche auf eigene Faust sicherlich ausreden, aber Petra ermunterte ihn durchaus zu kühnen Experimenten.
»Toll!«, sagte sie. »Für mich ist es eine grandiose Vorstellung, wenn du uns eines Tages überraschst und ganz plötzlich am Esstisch auftauchst. Ich werde es keinem verraten, dass du in aller Heimlichkeit so fleißig trainierst!«
Ob man am besten eine Angelschnur aus Nylon besorgte oder lieber dünnes Nähgarn, das sofort einriss? Hauptsache, Max schöpfte keinen Verdacht. Nach Möglichkeit sollte er gar nicht anwesend sein, denn die Versperrung musste ja sofort nach dem Unfall wieder entfernt werden.
Die Logistik war gar nicht so einfach. Max wurde einige Tage später mit einer riesigen Einkaufsliste fortgeschickt. Petra wiederum verließ ihren Buchladen gegen elf, angeblich um schnell etwas zu besorgen. Kaum war sie zu Hause angelangt, schlich sie lautlos nach oben. Die Tür des Krankenzimmers war wie immer bloß angelehnt, damit man den Alten hören konnte, wenn er rief. Er saß frisch gewaschen im Jogginganzug auf seinem Sessel, hatte die Kopfhörer aufgesetzt und redete sich wie üblich seinen Ärger von der Seele. Petra brauchte gar nicht leise zu sein, er konnte sie nicht hören. Aber sehen würde er sie auf jeden Fall, wenn sie sein Zimmer betrat und dort Fäden spannte.
Also musste sie die Stolperfalle auf dem Flur anlegen und versuchen, ihren Schwiegervater irgendwie aus seinem Zimmer zu locken. Sie hatte sich für farbloses Nähgarn entschieden, das sie auf der Diele zwischen der untersten Schublade einer Kommode und dem Treppengeländer festzurrte. Fast wie ein Netz. Sie war die Spinne, die auf ihre Beute lauerte.
Stundenlang durfte das aber nicht dauern, Max würde nach Hause kommen, die Fäden bemerken und ihren Plan durchschauen - oder schlimmstenfalls auch selbst zu Fall kommen. Petra versuchte also, den Alten aus seiner Höhle zu locken und wählte vom Schlafzimmer aus die eigene Nummer per Handy. Ein Apparat stand unten im Wohnzimmer, der andere oben auf dem Flur. Sie ließ es läuten und läuten, der Alte hörte es nicht.
Als sie schon aufgeben und gerade ihren Posten verlassen wollte, sah sie durch den Türspalt, wie er schließlich die Kopfhörer abnahm und versuchte, sich mit der Krücke ein Taschentuch zu angeln, das vor ihm auf dem Boden lag. Seine Nase tropfte wie so off, und er wischte sie schließlich mit dem Ärmel ab.
Dann drehte er kurz den Kopf zur Tür, als hörte er endlich das Geklingel. Es schien ihn aber nicht weiter zu interessieren, denn er stülpte sich die Kopfhörer ungerührt wieder über.
Für heute ließ Petra ihren Plan fallen, schnitt die Fäden durch und entfernte alle Spuren. Sie wollte rechtzeitig zur Mittagspause wieder im Laden sein. Wenn sie ihren Lover auch nicht wirklich liebte, so war er doch der einzige Mensch, der ihr aufmerksam zuhörte. Früher war es Mizzi gewesen, der sie ihre Sorgen anvertrauen konnte, aber seit ihre Tochter mit Jasmin zusammenlebte, war es damit vorbei.
11
»Mein Junge, ich muss mit dir reden«, sagte Willy Knobel zu Max. »So geht es nicht weiter! Ich war immer durch und durch Realist und habe inzwischen eingesehen, dass ich nie wieder Auto fahren werde. Mein Wagen muss dringend abgeschafft werden, er steht im Stall und frisst bloß Geld. Wenn du den Verkauf übernimmst, darfst du den Erlös behalten.«
»Ach, Opa, du wirst keinen Cent mehr für dein Auto kriegen. Im Gegenteil, man muss wahrscheinlich noch die Verschrottung bezahlen.«
»Das darf ja wohl nicht wahr sein! Aber ein Inserat aufgeben könntest du trotzdem, die Fahrzeugpapiere liegen in meinem Sekretär. Es gibt auch noch andere Dinge, die
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