Ehrenwort
Schwester einen Lego-Wettbewerb veranstaltet. Klar, dass sie ihm voraus war und das reinste Märchenschloss erbaute; Max schaffte nur eine Tankstelle. Der Vater - schließlich vom Fach - sollte den Preis vergeben. Er begeisterte sich für Mizzis Werk, nannte sie seine kleine Architektin und beachtete die etwas klobige Tankstelle fast gar nicht.
Noch heute spürte Max seine Enttäuschung, während er eine Verlängerungsschnur vom Haken nahm. Er klemmte sich das Radio unter den Arm und brachte es seinem Opa hinauf.
Später saß die Familie bei Grillhähnchen, Feldsalat und Pommes am Tisch, als plötzlich eine lautstarke Frauenstimme aus dem oberen Stockwerk ertönte.
»Ich dachte, er nimmt jetzt immer die Kopfhörer«, sagte Petra. »Max, kannst du mal eben...«
»Das mache ich lieber selber«, fiel ihr Harald ins Wort und warf seine Serviette zu Boden.
Im Krankenzimmer sah er mit einem Blick, dass es nicht der Fernseher, sondern ein dröhnendes Radio - sein Radio - war, das Max offenbar heraufgeholt hatte. Harald stellte wütend den Ton ab, der Alte protestierte.
»Mach sofort wieder an! Ilse liest mir gerade vom Lumpengesindel vor!«
Aber Harald ließ sich nicht beeindrucken und trug den Apparat zurück in den Keller.
Wieder am Tisch, schob er den Teller von sich und bemerkte scharf: »Der Appetit ist mir gründlich vergangen. Vater spinnt total, meine Mutter las ihm gerade Grimms Märchen vor! Morgen frage ich Doktor Ofenbach, welche Maßnahmen man bei einer Entmündigung durchführen muss. Am besten nicht nur für meinen Vater, sondern auch für unseren bescheuerten Sohn.«
Petra und Max sahen sich ratlos an.
Dann meinte Max: »Reg dich nicht so auf, Papa, du brauchst überhaupt nichts einzuleiten. Morgen ist er wieder klar und kommt auch ohne Vormund zurecht. Außerdem war ich heute in Dossenheim und habe zufällig sein Testament gefunden.«
»Ach, was steht da alles drin?«, fragte Petra.
»Er möchte neben Oma begraben werden«, antwortete Max und schwieg wieder, um seine Eltern ein wenig auf die Folter zu spannen. Nach einer angemessenen Pause berichtete er schließlich, dass der Alte seine Kinder gemäß der gesetzlichen Erbfolge eingesetzt habe und es keine speziellen Klauseln gebe. »Ich kann den Wisch ja nächstes Mal mitbringen«, bot er an. »Es ist alles völlig einwandfrei, handschriftlich, mit Datum und Unterschrift.«
»Gut«, sagte Harald etwas versöhnt, »das Radio bleibt aber gefälligst an seinem Platz. Und das Testament gibst du mir, ich werde es gut verwahren.«
Sollte der Alte ein zweites Dokument mit einer Enterbung aufsetzen, dann war es wohl kein Problem, das neue einfach verschwinden zu lassen.
Kurz darauf hörte Max, wie die Haustür leise geöffnet wurde. Endlich kam Jenny, die sich auf seinen heutigen Anruf nicht gemeldet hatte. Er verließ seinen Platz, ohne auch nur einen Teller hinauszutragen.
Petra und Harald saßen weiter vor abgenagten Knochen und hatten sich nur Unerfreuliches zu erzählen. Die nette Türkin, die seit Jahren alle vierzehn Tage das Haus von oben bis unten in Schuss hielt, war ernsthaft erkrankt. Und eine Angestellte in Petras Buchladen war schwanger. Harald wiederum ärgerte sich über einen anonymen Brief, in dem er als korrupt bezeichnet wurde. Die geplante Tiefgarage, die sich fast unter der gesamten Fußgängerzone bis zum Marktplatz hinziehen würde, sei dilettantisch geplant und werde unzählige Häuser zum Einsturz bringen, so wie es seinerzeit in Köln mit dem Stadtarchiv geschehen sei. Harald habe die Baugenehmigung einem unqualifizierten Spezi zugeschanzt und dadurch das Leben seiner Mitbürger in Gefahr gebracht. »Wenn Sie diesen Wahnsinn nicht aufgeben, werden Sie und Ihre Familie dafür büßen«, zitierte er. Natürlich hatte Harald sofort die Kriminalpolizei eingeschaltet und das Corpus Delicti den Spezialisten überlassen.
»Du machst mir direkt Angst«, sagte Petra. »Aber vielleicht ist das bloß ein Neidhammel, der den lukrativen Auftrag gern selbst erhalten hätte. Der Verdacht ist ja auch nicht ganz unbegründet, weil dein Jürgen wirklich den Zuschlag gekriegt hat.«
»Halt bloß den Mund«, sagte Harald.
Jenny war heute nicht gut aufgelegt, sie hatte nur einen flüchtigen Gruß für Max übrig und keine Zeit für ein privates Gespräch. Kaum war sie mit dem Alten fertig, war sie bereits auf und davon.
Ob Falko immer noch eine Rolle in ihrem Leben spielte? Max hätte ihr gern erzählt, wie er vor zwei Jahren die
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