Ehrenwort
überlegte er, ob er das dünnflüssige Maschinenöl nicht lieber wegnehmen sollte, damit der Opa nicht am Ende eine Sauerei im Bett anrichtete. Aber er witterte keine nennenswerte Gefahr, und das war ein Fehler. Stattdessen trug er nur den Aschenbecher weg, der jetzt nicht mehr benötigt wurde.
Haralds Sekretärin hatte ein Hotel in Baden-Baden gebucht, denn er hatte ihr freie Hand gelassen. Die vielen Angebote hatten ihn völlig verwirrt, eigentlich hatte er nur Aromatherapie behalten und den Satz Hier wird Ihre Seele zum Lächeln gebracht. Sicherheitshalber suchte er nach seinem Trainingsanzug. Irgendwann fiel ihm ein, dass er neulich seinen Vater in einem Polyester-Sportanzug, der ihm bekannt vorkam, auf dem Flur getroffen hatte. Es schien fast, als stünde er seiner eigenen Karikatur gegenüber - groß, aber gekrümmt wie ein Haken, glatzköpfig und mit tropfender Nase. Hatte Max sich etwa an den Sachen seines Vaters vergriffen, um den Großvater damit auszustatten? Eher würde er sich einen neuen Sportdress kaufen, als ihn vom Alten zurückzufordern; nicht etwa aus Großzügigkeit, sondern aus Ekel.
Max rief in Berlin an und fragte Mizzi, ob man den Eltern zur Silberhochzeit etwas schenken müsse.
»Spinnste, Kleener? Det ist doch nich unser Bier«, sagte sie, »außerdem hamse uns jar nich einjeladen.«
Seit Max über ihr bemühtes Berlinern gemosert hatte, tat sie es erst recht und immer penetranter.
»Wie hat dir Jenny eigentlich gefallen?«, fragte Max und wollte für seinen guten Geschmack gelobt werden.
»Ick fahr nich total uff ihr ab. Hauptsache, dir jefällt se«, sagte seine Schwester schnippisch, und Max war beleidigt.
Am Freitag hatte der Alte in aller Frühe den Beutel mit der Pistole sowie das Nähmaschinenöl hinter einem Fensterladen versteckt. Erst als er ganz allein im Haus war, holte er alles wieder hervor. Elena hatte ihm bereits beim Waschen und Anziehen geholfen und wurde erst am nächsten Tag wieder erwartet, Harald und Petra arbeiteten noch bis um eins, um dann nach Baden-Baden zu fahren, Max kaufte für das Wochenende ein.
Es wurde jetzt täglich sonniger und wärmer, die Glyzinien blühten am Geländer, und in den Nachbargärten setzten die Kirschbäume kleine Früchte an. Willy Knobel saß vor offener Balkontür in seinem Sessel und hatte sich eine Serviette auf den Schoß gelegt. Die Walther hatte er vorsichtig auseinandergenommen. Er bearbeitete sie nun mit Öl und einem Taschentuch. Endlich hatte er etwas Sinnvolles zu tun, außerdem machte ihm das knifflige Putzen, Reiben und Wischen richtig Spaß. Früher konnte er nie verstehen, dass Ilse so gern Silber polierte, doch auf einmal ging ihm auf, wie befriedigend solch einfache Tätigkeiten sein konnten. Nach einer Stunde war das Werk vollendet, und er hätte gern mal einen Probeschuss abgegeben.
Als Willy Knobel mit geladener Waffe auf den Balkon trat, sah er rasch ein, dass es zu gefährlich war, Schüsse ins Blaue abzugeben. Er registrierte einen Radfahrer, dann zwei bummelnde Schüler und schließlich eine Frau mit Hund auf der Straße. Auch wenn er bloß in die Luft schießen würde, konnte man doch auf ihn aufmerksam werden. Gerade als er wieder ins Zimmer treten wollte, holperte unter ihm ein Auto über die Bordsteinkante. Max parkte, stieg aus und nahm zwei schwere Einkaufstüten aus dem Kofferraum. Schleunigst steckte der Alte die Waffe wieder weg.
Es war inzwischen kurz vor zwölf, Max würde sich jetzt ans Kochen machen. Was er diesmal wohl Leckeres für seinen Großvater plante?
Max hatte für die nächsten Tage tiefgefrorene Raviolini in Tomatensauce, Linsen mit Speck sowie Bohnen mit Rindfleisch gekauft. Jenny hingegen wollte er keine Fertiggerichte auftischen. Für ihr gemeinsames Abendmahl hatte er nach langem Abwägen Jakobsmuscheln mit Basmati-Reis an einer Safran-Sahne-Sauce geplant, Feldsalat als Vorspeise und Nougateis als Dessert; das Internet-Rezept eines Sternekochs lag ausgedruckt bereit. Das einzige Problem war der Wein, bei dem er sich nicht auskannte. Aber sein Vater hatte bestimmt kein schlechtes Sortiment im Keller.
Und so kam es, dass jeder im Hause Knobel einen Grund zur Vorfreude hatte.
17
Nach so viel freudiger Erwartung gab es bei drei Familienmitgliedern leider eine kleine Enttäuschung. Petra wurde von ihrem Mann zwar damit überrascht, dass er bereits alles eingepackt und im Auto verstaut hatte, doch als sie später im feinen Baden-Badener Hotel ihre Kleider aufhängen wollte,
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