Ehrenwort
hatten früher als erwartet eingesetzt, und im Kindergarten wurde gestreikt. Elena entschuldigte sich tausendmal und bat den Alten, ihrer Chefin nichts zu verraten.
»Wie heißt du?«, fragte das Kind.
»Willy Knobel«, antwortete er amüsiert, aber Elena schüttelte den Kopf. »Nonno«, verbesserte sie.
Ob die Kleine besser Deutsch oder Italienisch spreche, wollte er wissen, und hörte mit Respekt, dass die Dreijährige beide Sprachen beherrschte.
Den ganzen Tag über hatte er an die niedliche Giulia in ihrem rosa Rüschenkleid gedacht, die brav mit der Fernbedienung gespielt hatte, als ihre Nonna mit ihm im Badezimmer verschwunden war. Wie zutraulich und harmlos ein kleiner Mensch noch war und wie lernbegierig! Er wollte sich ein Beispiel an dieser vorurteilsfreien Offenheit nehmen und ein besserer Mensch werden. Seine Familie hatte ihm verziehen, dass er früher ein so strenger und unnahbarer Patriarch gewesen war, was er heute bereute.
Selbst Harald hatte seinen Vater aufgenommen und ihm sogar einen Cognac angeboten. Seine Schwiegertochter Petra war auf eine diskrete Art fürsorglich. Neulich entdeckte er einen weiteren Teppich im Flur, den sie wohl nur seinetwegen hingelegt hatte, damit er nicht wieder ausrutschte. Und Max - man konnte ihn gar nicht genug loben. Womit hatte er einen so prächtigen Enkel verdient!
Der Alte warf die angerauchte Zigarre in den Vorgarten und freute sich darauf, dass es bald Mittagessen gab. Er nahm jetzt nur noch Frühstück und Abendbrot im Bett ein, die warme Hauptmahlzeit meistens im Sessel vor dem Fernseher, demnächst vielleicht hier auf dem Balkon.
Langsam wandte er sich dem Blumenkasten zu, lehnte die Krücken an die Hauswand und sich selbst ans Balkongeländer, scharrte wie eine Katze in lockerer Erde, stieß auch gleich auf die Plastikfolie und zog den Kasten heraus. Vorsichtig ließ er sich auf den hohen grünen Gartenstuhl gleiten, wickelte das Paket aus, öffnete das Etui, besah sich seine alte Armeepistole und stellte zufrieden fest, dass noch ein volles Magazin mit Munition vorhanden war. Rostig schien die Waffe nicht zu sein. Es zahlte sich aus, dass er sie jahrzehntelang trocken und sicher verwahrt hatte. Allerdings hatte er die Walther seit langem nicht mehr gereinigt und geschmiert, aber das konnte er ja in einer stillen Stunde nachholen. Im Schlafzimmer von Harald und Petra standen eine Nähmaschine und auch ein Fläschchen Weißöl, das man bestimmt zur Pflege der Pistole verwenden konnte. Beim nächsten Einbrecher würde er beweisen, dass auf einen alten Landser Verlass war. Natürlich würde er bloß in die Luff schießen, um den Kerl zu vertreiben, und nur im Notfall auf die Beine zielen. Doch ob er überhaupt noch dazu in der Lage war?
Als er Max kommen hörte, stopfte er die Waffe hastig in den Beutel, zog sich am Geländer hoch und versenkte den leeren Kasten wieder im Versteck. Später würde er Erde darüberstreuen.
»Na, Opa«, sagte Max und setzte das Tablett ab, »ist es draußen nicht zu kühl? Hast du Hunger? Es gibt Milchreis mit Kirschkompott. Und hinterher willst du sicher noch eine rauchen.«
»Rauchen habe ich mir abgewöhnt«, sagte der Alte und machte sich über die warme Pampe her.
Zu Beginn jeder neuen Woche inspizierte Harald seinen Terminkalender. Zu seiner Verwunderung stand am kommenden Samstag, an dem er in der Regel keine beruflichen Verpflichtungen wahrnahm, in der steilen Schrift seiner Sekretärin:
HOCHZEITSTAG.
Ach ja, vor zwei Jahren hatte er dieses wichtige Datum einfach vergessen, und Petra war stinksauer. Um es ihm heimzuzahlen, hatte sie letztes Mal den Hochzeitstag demonstrativ ignoriert. Nach diesem Desaster hatte Haralds Mitarbeiterin versprechen müssen, ihn in Zukunft frühzeitig daran zu erinnern. Diplom-Ingenieur Harald Knobel rechnete mit den Fingern nach und stellte erstaunt fest, dass seine standesamtliche Trauung genau vor fünfundzwanzig Jahren stattgefunden hatte. Er rief die Sekretärin herein und klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Kalender.
»Es war sehr aufmerksam, dass Sie diesen Termin eingetragen haben«, sagte er, »denn es handelt sich um unsere Silberhochzeit. Meinen Sie, dass ein Strauß mit fünfundzwanzig roten Rosen genügt?«
Sie überlegte. »Eigentlich müsste man ein schönes Fest feiern, Freunde und Familienangehörige einladen!«
»Um Gottes willen, dadurch hätte Petra ja nichts als Arbeit! Außerdem sind es nur noch sechs Tage - viel zu spät für die Vorbereitungen. Auf
Weitere Kostenlose Bücher