Ehrenwort
eilig; die Begegnung mit Elena war ihr auf den Magen geschlagen. Man sehe sich ja am Abend wieder, vertröstete sie ihn. Als Max allein war, blätterte er stundenlang in Kochbüchern seiner Mutter, um die Garzeit für Spargel herauszubekommen und ein Rezept für die Hollandaise zu finden. An diesem Abend sollte es Jenny richtig gut schmecken, also keine Experimente!
Seine Eltern hatten ausgiebig geschlafen, sich vor dem Frühstück massieren lassen und später einen Bummel durch Baden-Baden gemacht. Petra war mit ihren Einkäufen sehr zufrieden: Die Ausbeute bestand nicht nur aus einem blau-grün gestreiften Pyjama und einem Badeanzug, sondern auch aus eleganten roten Schuhen, die leider ein wenig drückten. Der Hochzeitstag ließ sich gut an, auch Harald war zufrieden, denn er hatte seiner Frau den Besuch der Spielbank erfolgreich ausgeredet.
Als sie schließlich auf einer Parkbank saßen und sich von der Shopping-Tour ausruhten, konnte Harald es nicht lassen: »Ich wusste zwar, dass du eine Göttin bist, aber für eine Juno bist du eigentlich nicht fett genug.«
Sie starrte ihn verständnislos an, und Harald erklärte, dass sie im Traum sehnsüchtig nach Jupiter gerufen habe.
Petra wurde blass. Was hatte sie wohl sonst noch alles verraten? Ihr Lover hieß Joseph, und er hatte ihr erzählt, dass dieser Name in seiner rheinischen Heimat zu Jupp verkürzt wurde, sein zweiter Name Peter wurde zu Pitter. Also hatte sie ihn Jupiter getauft, aber das wusste sonst niemand. Anscheinend hatte Harald keinen Verdacht geschöpft, denn er fand Petras Beziehung zu einem römischen Gott einfach nur komisch.
Der Samstag verlief weiterhin friedlich, sowohl in Baden-Baden als auch bei Max und seinem Großvater zu Hause. Erst in der Nacht zum Sonntag kam es zu Turbulenzen.
Jenny und Max hatten nach dem Spargel-Essen einen Erotikfilm aus dem geheimen Fundus der Eltern angesehen und waren gegen elf Uhr ins Doppelbett geschlüpft, was nicht hieß, dass der Abend für sie nun beendet war. Um halb drei aber lagen beide im Tiefschlaf und merkten nicht, dass ein Mann das Garagentor gewaltsam zu öffnen versuchte.
Willy Knobel hatte hingegen bis zwei Uhr geschlafen, war dann aber wach geworden und hatte den Fernseher ein- und frustriert wieder ausgeschaltet. Die Luft schien ihm stickig, sein Atem ging schwer. Er griff nach den Krücken, hängte sich seine Decke um und tappte im Halbdunkel auf den Balkon. Es war um diese Zeit sehr ruhig, obwohl man gelegentlich ein Auto oder das ferne Rattern der Eisenbahn hören konnte, manchmal wehte der Wind auch die Töne einer Musikanlage herbei. Es wurden jetzt überall Abiturfeten gefeiert.
Lange hatte der Alte keine filigranzarte, goldene Halbsichel mehr gesehen, nun war er fast zu Tränen gerührt. Zu den Lieblingsgedichten seiner Ilse und ihrer Schulfreundin Charlotte gehörte Der Mond ist aufgegangen; er versuchte in Gedanken, Strophe für Strophe aufzusagen. Schließlich murmelte er:
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Ganz begeistert vom eigenen guten Gedächtnis überkam ihn plötzlich die Lust auf eine Zigarre. Einmal ist keinmal, dachte er, und suchte den Brustbeutel. Eingehüllt in die Decke saß er rauchend auf seinem Gartenstuhl und fand das Leben wunderbar. »Wie Kinder fromm und fröhlich sein«, zitierte er und paffte gelassen vor sich hin.
Als er schließlich aufstand, um die längst nicht mehr glimmende Zigarre hinunterzuwerfen, sah er im fahlen Schein der Straßenlaterne eine schemenhafte Gestalt, die lautlos das kurze Stück bis zur Garageneinfahrt entlangschlich und sich am Tor zu schaffen machte. Für Sekunden blieb dem Alten das Herz fast stehen, dann aber handelte er schnell und entschlossen. Die Pistole aus dem Beutel nehmen und einen Warnschuss abgeben, das war jetzt die Parole. Zu seiner eigenen Verwunderung funktionierte die alte Walther tadellos. Der Knall zerriss die nächtliche Stille, aber in keinem einzigen Fenster der umliegenden Häuser ging das Licht an. Der Fremde aber duckte sich in den Schatten der Hauswand und ließ nach einer kurzen Verschnaufpause von seinem finsteren Plan nicht ab. Er holte jetzt einen Gegenstand hervor, der wie ein Brecheisen aussah.
Der Alte wollte laut um Hilfe rufen, aber die Stimme versagte ihm. In seiner Not schoss er ein zweites Mal. Neben die Beine zielen, hatte er sich vorgenommen, und anscheinend hatte der Fremde beim zweiten Kracher nun doch Bammel bekommen und war
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