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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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per se die Juden rettete, sondern der Entschluß der dänischen Regierung, sie unter diesem Vorwand zu schützen. So kam keine einzige der für den Verwaltungsmassenmord so unerläßlichen Vorbereitungsmaßnahmen zustande, und alle Aktionen wurden bis zum Herbst 1943 hinausgeschoben.
    Was dann geschah, war wahrhaft erstaunlich; verglichen mit dem »normalen« Gang der Dinge in anderen Ländern, war es wie eine verkehrte Welt. Im August 1943 – nach dem Scheitern der deutschen Offensive in Rußland, nach der Kapitulation des Afrikakorps in Tunis und der Landung der Alliierten in Sizilien – kündigte die schwedische Regierung das Abkommen von 1940, das deutschen Truppen den Durchmarsch durch Schweden gestattet hatte. Daraufhin beschlossen die dänischen Arbeiter, ihrerseits die Dinge ein wenig zu beschleunigen; in dänischen Werften brachen Unruhen aus, die Werftarbeiter weigerten sich, deutsche Schiffe zu reparieren, und traten in Streik. Der deutsche Wehrmachtskommandeur proklamierte den Ausnahmezustand und führte das Standrecht ein; das hielt Himmler für den geeigneten Augenblick, um die Judenfrage zu erledigen, deren »Lösung« längst überfällig war. Aber Himmler hatte mit einem wichtigen Faktor nicht gerechnet, nämlich daß – ganz abgesehen von dänischem Widerstand – die deutschen Beamten, die nun jahrelang in diesem Land gelebt hatten, nicht mehr die gleichen waren. Nicht genug damit, daß sich der Wehrmachtskommandeur, General von Hannecken, weigerte, dem Reichsbevollmächtigten Dr. Best Truppen zur Verfügung zu stellen, Best hat noch als Zeuge in Nürnberg betont, »daß gerade die dort [in Dänemark] eingesetzten Kräfte [der SS] sich sehr häufig gegen Weisungen von Zentralstellen gewendet haben«. Best selber, ein alter Gestapomann und früherer Rechtsberater Heydrichs, Autor eines damals berühmten Buchs über die Polizei, der bei der Militärregierung in Paris zur vollen Zufriedenheit der Gestapo gearbeitet hatte, war nicht mehr zuverlässig, und in Berlin ist wohl das volle Ausmaß seiner Unzuverlässigkeit niemals bekanntgeworden. Dennoch war von Anfang an klar, daß da etwas nicht in Ordnung war, und Eichmanns Dienststelle schickte einen ihrer besten Männer nach Dänemark – Rolf Günther, dem niemand einen Mangel an »rücksichtsloser Härte« je vorgeworfen hat. Auf seine Kollegen in Kopenhagen machte Günther keinen Eindruck, und er erreichte nur, daß von Hannecken sich nun sogar weigerte, eine Verordnung zu erlassen, auf Grund deren sich alle Juden zur Arbeit melden mußten.
    Best reiste nach Berlin und erhielt die Zusage, daß alle Juden aus Dänemark ohne Rücksicht auf Kategorien nach Theresienstadt geschickt werden würden – vom Gesichtspunkt der Nazis aus ein großes Entgegenkommen. Als Datum für die Festnahme und den sofortigen Abtransport wurde die Nacht des l. Oktober festgesetzt – im Hafen lagen Schiffe bereit –, und da man sich für die notwendige Unterstützung weder auf die Dänen noch auf die Juden, noch auf die in Dänemark stationierten deutschen Truppen verlassen konnte, trafen Polizeieinheiten aus Deutschland ein, um die Stadt von Haus zu Haus nach Juden zu durchsuchen. Ihnen sagte Best im letzten Augenblick, mit Gewalt in Wohnungen einzudringen sei verboten, da sich sonst womöglich die dänische Polizei einmischen könnte, und mit den Dänen dürfe es nicht zu Handgreiflichkeiten kommen. Infolgedessen konnten sie nur Juden, die ihre Tür freiwillig öffneten, verhaften. Von insgesamt mehr als 7800 Juden fanden sie genau 477, die zu Hause waren und sie einließen. Einige Tage vor dem verhängnisvollen Datum hatte der deutsche Speditionskaufmann Georg F. Duckwitz – vermutlich von Best selbst mit dem Tip versehen – dänischen Regierungsbeamten den ganzen Plan eröffnet, die ihrerseits schleunigst die Leiter der jüdischen Gemeinde informierten. Und diese gaben dann, in auffallendem Gegensatz zu jüdischen Funktionären in anderen Ländern, die Nachricht öffentlich bekannt – beim Neujahrsgottesdienst in den Synagogen. Den Juden blieb gerade genügend Zeit, ihre Wohnungen zu verlassen und sich zu verstecken, was in Dänemark sehr einfach war, denn »alle Kreise des dänischen Volkes, vom König bis zum einfachen Bürger«, standen, wie es im Urteil hieß, bereit, sie aufzunehmen.
    Sie hätten bis zum Ende des Krieges »untergrund« bleiben müssen, hätten sie nicht zum Glück Schweden als Nachbarn gehabt. Die Juden nach Schweden zu bringen schien das

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