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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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nämlich, daß er selbst die dänische Aktion in Berlin vorgeschlagen hat, doch das, erklärte er, sei alles Bestandteil seines Spiels gewesen. Er wurde an Dänemark ausgeliefert und dort zum Tode verurteilt, aber sein Revisionsgesuch brachte ein überraschendes Resultat: wegen »neuen Beweismaterials« wurde sein Urteil zu 5 Jahren Gefängnis reduziert, aus dem er bald danach entlassen wurde. Er muß wohl zur Zufriedenheit des dänischen Gerichts bewiesen haben, daß er wirklich sein Bestes getan hatte. 10
    ITALIEN , Deutschlands einziger wirklicher Verbündeter in Europa, wurde als gleichberechtigter Partner betrachtet und als souveräner, unabhängiger Staat respektiert. Das Bündnis beruhte anscheinend auf der höchsten Form gemeinsamer Interessen, das zwei ähnliche, wenn auch nicht identische neue Herrschaftsformen miteinander verband, und Mussolini war in der Tat in deutschen Nazikreisen einstmals sehr bewundert worden. Doch zu dem Zeitpunkt, als der Krieg ausbrach und Italien sich nach einigem Zögern dem deutschen Unternehmen anschloß, gehörte das bereits der Vergangenheit an. Die Nazis wußten recht gut, daß sie mit Stalins Form von Kommunismus mehr gemein hatten als mit dem italienischen Faschismus, und Mussolini seinerseits blickte weder mit großem Vertrauen auf Deutschland noch mit großer Bewunderung auf Hitler. Das alles gehörte jedoch, besonders in Deutschland, zu den gut gehüteten Geheimnissen der Führungsschicht, und die tiefen, entscheidenden Unterschiede zwischen totalitärer und faschistischer Herrschaftsform sind von der Außenwelt his auf den heutigen Tag nicht völlig begriffen worden. Nirgends traten sie so deutlich zutage wie in der Behandlung der Judenfrage.
    Eichmann und seine Leute hatten vor dem Staatsstreich Badoglios im Sommer 1943 und der deutschen Besetzung von Rom und Norditalien keinerlei Befugnis, sich in Italien zu betätigen, und in den italienisch besetzten Teilen von Frankreich, Griechenland und Jugoslawien, in die verfolgte Juden ständig flohen, weil sie dort des vorübergehenden Asyls sicher sein konnten, wurden sie mit dem italienischen Stil, Dinge nicht zu lösen, bekannt. In wesentlich höheren Regionen als auf der Ebene, auf der Eichmann operierte, hatte die Sabotage der »Endlösung« durch die Italiener bedenkliche Formen angenommen, hauptsächlich wegen Mussolinis Einfluß auf andere faschistische Regierungen in Europa – auf die Regierung Pétains in Frankreich, Horthys in Ungarn, Antonescus in Rumänien und sogar auf das Franco-Regime in Spanien. Wenn Italien sich gegenüber dem Achsenpartner halten konnte, ohne seine Juden zu ermorden, dann würden die Satellitenländer des Reichs womöglich das gleiche versuchen. So wollte z. B. Dörre Sztójai, der ungarische Premierminister, den die Deutschen Horthy aufgezwungen hatten, bei antijüdischen Maßnahmen immer wissen, ob die gleiche Regelung für Italien zuträfe. Eichmanns Chef, Gruppenführer Müller, wies in einem langen Brief über diesen Gegenstand das Auswärtige Amt auf all diese Schwierigkeiten hin, doch konnten die Herren im Auswärtigen Amt nicht viel dagegen tun, da ihnen überall der gleiche, geschickt verschleierte Widerstand begegnete, die gleichen Versprechungen und die gleiche Nichteinhaltung dieser Versprechen. Die Sabotage muß die Nazis um so mehr irritiert haben, als sie ganz offen ausgeübt wurde, auf beinahe spöttische Manier. Die Versprechungen wurden von Mussolini selbst oder von anderen hohen Würdenträgern abgegeben, und wenn die Generäle sie dann einfach nicht wahrmachten, fand Mussolini Entschuldigungen für sie mit der Begründung, sie hätten nun einmal eine »andere geistige Haltung«. Nur ganz gelegentlich trafen die Nazis auf strikte Ablehnung, etwa, als General Roatta ihnen erklärte, es sei »mit der Ehre der italienischen Armee nicht vereinbar«, die Juden in der italienisch besetzten Zone Jugoslawiens an die zuständigen deutschen Dienststellen auszuliefern.
    Noch schlimmer konnte es kommen, wenn die Italiener ihre Versprechen einmal zu halten schienen. Ein solcher Fall ereignete sich nach der Landung der Alliierten im französischen Nordafrika, nach der die Deutschen ihre Besatzung über ganz Frankreich ausdehnten, mit Ausnahme der italienischen Zone im Süden, wo etwa 50 000 Juden Sicherheit gefunden hatten. Unter erheblichem deutschen Druck wurde ein italienisches »Kommissariat für jüdische Angelegenheiten« errichtet, dessen einzige Funktion darin bestand, alle

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