Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
wesentlich aktivere Berater in Frankreich, Herr Darmecker, noch immer auf freiem Fuß ist), der aber offenbar sehr wenig zu sagen hatte und nicht viel mehr tun konnte, als das Berliner Büro ständig zu unterrichten. Deportationen und alles, was damit zusammenhing, unterstanden (wie erst jetzt durch die Bekanntgabe neuen holländischen Materials erwiesen ist) dem Juristen Erich Rajakowitsch, der Eichmann bei den Zentralstellen für jüdische Auswanderung in Wien, Prag und Berlin bereits ehrenamtlich beraten hatte und auf seine Empfehlung hin in die SS aufgenommen worden war. Er saß bereits seit April 1941 in Holland, und zwar im Auftrag Heydrichs, war aber nicht dem RSHA in Berlin unterstellt, sondern dem Chef des Sicherheitsdienstes im Haag, einem Dr. Wilhelm Harsten, der seinerseits wieder dem Höheren SS- und Polizeiführer, Obergruppenführer Hans Rauter, und seinem Beauftragten für Judenangelegenheiten, Ferdinand aus der Fünten, unterstellt war. Selbstverständlich wurde Eichmanns Büro laufend von ihrer Tätigkeit informiert. (Rauter und aus der Fünten wurden von einem holländischen Gericht zum Tode verurteilt; Rauter wurde hingerichtet, aber Füntens Urteil wurde, angeblich nach einer Intervention Adenauers, in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Harrten wurde ebenfalls in Holland vor Gericht gestellt, zu 12 Jahren Haft verurteilt und 1957 freigelassen. Heute ist er als Oberregierungsrat bei der Landesregierung in Bayern beschäftigt. Rajakowitsch, gegen den das holländische Justizministerium einen Prozeß erwägt, hält sich offenbar in der Schweiz oder in Italien auf. (Siehe den Bericht von E. Jacob, dem Haager Korrespondenten für »Schweizer Blätter«, vom 10. April 1963.) Die Anklage in Jerusalem behauptete – teils, weil sie Eichmann um jeden Preis »aufbauen« wollte, teils, weil sie wirklich den Weg durch das deutsche Organisationsgestrüpp verloren hatte –, daß alle diese Instanzen die Befehle Eichmanns ausgeführt hätten. Aber die Höheren SS- und Polizeiführer nahmen überhaupt nur von Himmler direkt Befehle entgegen, und daß Rajakowitsch zu diesem Zeitpunkt noch Eichmann unterstellt gewesen sein soll, ist gerade angesichts dessen, wie die Dinge sich dann in Holland entwickelten, höchst unwahrscheinlich. Das Urteil korrigierte schließlich, stillschweigend und ohne sich auf Polemik einzulassen, eine große Anzahl solcher Irrtümer der Anklage – obgleich vermutlich nicht alle – und wies auf den dauernden Kleinkrieg um Positionen hin zwischen dem RSHA, den Höheren SS- und Polizeiführern und anderen Instanzen, auf die »zähen, ewigen, immerwährenden Verhandlungen« (in Eichmanns Worten). Über die Instanzenverteilung in Holland war Eichmann ganz besonders verärgert, weil sie deutlich zeigte, wie Himmler ihn nicht groß werden ließ, ganz abgesehen davon, daß der Eifer der ansässigen Herren ihm seine Terminpläne für alle Transporte durcheinanderbrachte und berechtigte Zweifel an der Unersetzlichkeit der »Zentralinstanz« in Berlin aufkommen lassen mochte. So wurden z. B. gleich zu Anfang 20 000 statt 15 000 Juden deportiert, und Eichmanns Herr Zöpf, der sowohl rang- wie positionsmäßig allen anderen Anwesenden weit unterlegen war, wurde im Jahre 1943 beinahe dazu gezwungen, die Deportationen zu beschleunigen. Von Kompetenzstreitigkeiten dieser Art war Eichmann unablässig geplagt, und vergeblich beschworen er und seine Leute alle, die es hören wollten, »es sei gegen den Befehl des Reichsführers SS und widersinnig, wenn in diesem vorgerückten Stadium die vom Herrn Reichskommissar selbst als sicherheitspolizeilich bestätigte Judenfrage nunmehr wieder von anderen Stellen bearbeitet würde«. Bei dem letzten Zusammenstoß in Holland im Jahre 1944 versuchte sogar Kaltenbrunner einzugreifen, um die Einheitlichkeit der Richtlinien zu bewahren. In Holland galten nämlich für die Sephardim, Juden ursprünglich spanischer Herkunft, Ausnahmebestimmungen, wiewohl von Saloniki aus sephardische Juden massenweise nach Auschwitz geschickt worden waren. Mit der Feststellung, daß »das RSHA in diesem Konflikt gesiegt hat«, befand sich das Urteil in einem Irrtum – denn aus Gott weiß welchen Gründen blieben etwa 370 sephardische Juden in Amsterdam unbelästigt.
Himmler arbeitete aus einem sehr einfachen Grund in Holland lieber mit seinen Höheren SS- und Polizeiführern: diese Männer kannten sich im Land aus, und das Problem, mit der holländischen Bevölkerung zu
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