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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Rumänien geholfen hatte. Das Komitee stand in dauernder Verbindung mit dem American Joint Distribution Committee, das seine Arbeit finanzierte, und hatte es sogar fertiggebracht, einige Juden legal oder illegal nach Palästina zu schaffen. Nun, da die Katastrophe ihr eigenes Land erreicht hatte, machten sich die Zionisten an das Fälschen von »christlichen Papieren«, von Taufscheinen, deren Inhaber leichter in den Untergrund gehen konnten. Die zionistischen Führer, wie immer sie sonst aussehen mochten – und Kastner war sicher keine sehr anziehende Erscheinung –, wußten wenigstens, daß sie Freiwild waren, und handelten dementsprechend. Joel Brand, der unselige Abgesandte Eichmanns, der den Alliierten mitten im Krieg Himmlers Vorschlag über den Austausch von einer Million Juden gegen 10 000 Lastwagen unterbreitete, war einer der führenden Funktionäre des Hilfskomitees, und er kam ebenso wie sein früherer Rivale Philipp von Freudiger nach Jerusalem, um vor Gericht über seine Verhandlungen mit Eichmann auszusagen. Während Freudiger, an den sich Eichmann übrigens nicht mehr erinnerte, die Grobheit im Gedächtnis hatte, mit der man ihn bei diesen Unterredungen behandelt hatte, stützte Brands Aussage tatsächlich viel von Eichmanns eigener Darstellung über seine Verhandlungen mit den Zionisten. Brand hatte zu hören bekommen, daß jetzt »ein idealistischer Deutscher« zu ihm, einem »idealistischen Juden«, spräche – zwei ehrenhafte Feinde, die sich während einer Kampfpause als Gleiche begegneten. Eichmann habe zu ihm gesagt: »Morgen werden wir uns vielleicht wieder in der Schlacht treffen.« Es muß eine schauerliche Komödie gewesen sein, zeigte aber immerhin, daß Eichmanns Hang zu erhebenden Phrasen ohne allen Realitätsgehalt nicht eine eigens für den Jerusalemer Prozeß fabrizierte Pose war. Interessanter ist jedoch ein anderer Eindruck – daß nämlich weder Eichmann noch andere Mitglieder des Sondereinsatzkommandos beim Umgang mit Zionisten einfach logen, wie sie es ungeniert und mit bestem Erfolg taten, wenn sie mit anderen Herren vom Judenrat zu tun hatten. Selbst Sprachregelungen wurden ad acta gelegt, im allgemeinen nahm man kein Blatt vor den Mund. Überdies wandten sich immer dann, wenn es um ernsthafte Verhandlungen ging – über die Höhe des aufzuwendenden Betrags für Ausreisegenehmigungen, über den Europaplan, über den Austausch von Menschen gegen Lastwagen –, nicht nur Eichmann, sondern alle, die es anging: Wisliceny, Becher, die Herren des Abwehrdienstes, die Joel Brand allmorgendlich im Kaffeehaus zu treffen pflegte, ganz selbstverständlich an die Zionisten. Der Grund dafür lag darin, daß das Hilfskomitee die erforderlichen internationalen Beziehungen besaß und leichter an ausländisches Geld herankam, während die Mitglieder des Judenrats nichts hinter sich hatten als die mehr als zweifelhafte Protektion des Reichsverwesers Horthy. Auch zeigte sich, daß die zionistischen Funktionäre in Ungarn größere Privilegien erhalten hatten als die übliche zeitweilige Immunität gegen Arrest und Deportation, die den Mitgliedern des Judenrats immer zugestanden wurde. Die Zionisten hatten große Bewegungsfreiheit, sie brauchten den gelben Stern nicht zu tragen, sie bekamen Besuchserlaubnis für die Konzentrationslager, und etwas später konnte Dr. Kastner, der ursprüngliche Gründer des Rettungs- und Hilfskomitees, sogar in Nazideutschland herumreisen, ohne daß aus seinen Ausweispapieren hervorging, daß er Jude war.
    Die Organisation des Judenrats war für Eichmann mit seiner Erfahrung aus Wien, Prag und Berlin eine Routineangelegenheit, die nicht länger als zwei Wochen in Anspruch nahm. Die Frage war nun, ob er auch imstande sein würde, die Hilfe der ungarischen Behörden für eine Operation dieses Ausmaßes zu gewinnen. Dies war für ihn etwas ganz Neues. Bei normalem Verlauf der Dinge wurden diese Angelegenheiten vom Auswärtigen Amt und den diplomatischen Vertretern erledigt, im vorliegenden Fall von dem neuernannten Reichsbevollmächtigten Dr. Edmund Veesenmayer, dem Eichmann dann einen »Judenberater« geschickt hätte. Selbst die Rolle eines solchen Beraters zu spielen war Eichmann natürlich nicht gewillt, da dieser Posten überall nur mit Leuten im Rang eines Hauptsturmführers besetzt wurde, während er selbst als Obersturmbannführer zwei Rangstufen höher stand. Sein größter Triumph in Ungarn war, daß er selbst seine Kontakte zur ungarischen Regierung

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