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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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»magyarisierten« Juden und Ostjuden respektieren würden. Man mußte in den Künsten, sich selbst etwas vorzumachen, schon eine ungewöhnliche Fertigkeit erreicht haben, um sich, wie die jüdischen Mitglieder des Judenrats, mit Sätzen wie »Bei uns ist das nicht möglich!« oder »Wie soll man denn ungarische Juden aus Ungarn wegschicken können?« zu trösten und solchen Illusionen auch dann noch nachzuhängen, als die Realität jedes einzelnen Tages ihrer spottete. Wie sie das fertigbrachten, zeigt ein einzigartiges Non sequitur auf dem Zeugenstand des Jerusalemer Bezirksgerichts. Die künftigen Mitglieder des Jüdischen Zentralkomitees (wie der Judenrat in Ungarn genannt wurde) hatten aus der benachbarten Slowakei gehört, Wisliceny, der jetzt mit ihnen verhandelte, sei leicht zur Annahme von Geld zu bringen; sie wußten außerdem, daß er trotz aller Bestechungen »alle Juden in der Slowakei abtransportiert hatte«. Woraus der Zeuge Freudiger schloßt »Ich habe das so aufgefaßt, daß man Mittel und Wege finden müßte, um Beziehungen mit Wisliceny anzuknüpfen.«
    Eichmann bediente sich in diesen schwierigen Verhandlungen eines äußerst gerissenen Tricks – er und seine Leute gaben vor, bestechlich zu sein. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Hofrat Samuel Stern, ein Mitglied von Horthys Staatsrat, wurde mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt und erklärte sich bereit, Vorsitzender des Judenrats zu werden. Auf ihn und die anderen Ratsmitglieder wirkte es beruhigend, als sie aufgefordert wurden, Schreibmaschinen und Spiegel, Damenwäsche und Eau de Cologne, Watteau-Originale und acht Klaviere herbeizuschaffen – sieben davon gab Hauptsturmführer Novak allerdings mit eleganter Geste zurück und bemerkte dazu: »Meine Herren, ich will doch kein Klaviergeschäft aufmachen, ich möchte nur Klavier spielen.« Eichmann selbst besuchte die jüdische Bibliothek und das jüdische Museum und versicherte jedermann, alle Maßnahmen seien nur vorübergehend. Und Korruption, zuerst als Trick simuliert, wurde bald genug echt, obgleich nicht in der Form, wie die Juden gehofft hatten. Nirgendwo sonst haben Juden so viel Bestechungsgelder gezahlt ohne irgendwelche Gegenleistung. In den Worten des merkwürdigen Herrn Kastner: »Ein Jude, der um sein eigenes Leben und um das seiner Familie zittert, verliert jeden Sinn für Geld.« (Sic!) Das wurde während des Prozesses durch die Aussagen des oben erwähnten Philipp von Freudiger ebenso bestätigt wie durch die Aussage von Joel Brand, der in Ungarn eine rivalisierende jüdische Körperschaft repräsentiert hatte, das Zionistische Rettungs- und Hilfskomitee. Krumey erhielt im April 1944 nicht weniger als 250 000 Dollar von Freudiger, und das Hilfskomitee zahlte 20 000 Dollar für die Vergünstigung, mit Wisliceny und einigen Männern des SS-Abwehrdienstes überhaupt zusammenkommen zu dürfen. Bei dieser Zusammenkunft erhielt jeder der Anwesenden ein weiteres Trinkgeld von 1000 Dollar. Wisliceny brachte wieder den sogenannten Europaplan ins Gespräch, den er 1942 ohne Resultat vorgeschlagen hatte und demzufolge Himmler angeblich gegen ein Lösegeld von zwei oder drei Millionen Dollar bereit wäre, nur die polnischen Juden auszurotten, alle anderen aber zu verschonen. Im Vertrauen auf diesen Vorschlag, der längst ad acta gelegt war, begannen die Juden nun mit Abschlagszahlungen an Wisliceny. Sogar Eichmanns »Idealismus« brach in diesem Land unbegrenzter Bestechungsmöglichkeiten zusammen. Die Anklage konnte Eichmann zwar nicht nachweisen, daß er auf diesem Posten finanziell profitiert habe, betonte aber zu Recht seinen hohen Lebensstandard in Budapest, wo er es sich leisten konnte, in einem der besten Hotels zu leben, wo er sich von einem Chauffeur in einem Schwimmwagen herumfahren ließ, dem unvergeßlichen Geschenk seines späteren Feindes Kurt Becher, wo er reiten und jagen ging und überhaupt von seinen neuen Freunden in der ungarischen Regierung in viele Geheimnisse eines ihm bis dahin unbekannten Luxus eingeführt wurde.
    Doch gab es in Ungarn auch eine ansehnliche Gruppe von Juden, innerhalb deren sich zumindest die Führer nicht den gleichen Illusionen hingaben. Die zionistische Bewegung war seit jeher in Ungarn sehr stark gewesen, und sie hatte nun ihre eigene Vertretung in dem unlängst gebildeten Vaadat Ezra va Hazalah, dem Rettungs- und Hilfskomitee, das in engem Kontakt mit dem Palästina-Amt Flüchtlingen aus Polen und der Slowakei, aus Jugoslawien und

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