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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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ungewöhnlich hohen Prozentsatz regelrechter Mörder hatte, sondern auch das korrupteste Land auf dem Balkan war. In ungenierter Parallelität mit den Massakern war ein blühender Handel mit Ausnahmerechten (»Freizetteln«) entstanden, den jeder Zweig der Bürokratie, ob staatlich oder kommunal, mit Feuereifer betrieb. Die Regierung hatte sich darauf spezialisiert, gewissen Gruppen oder ganzen Gemeinden von Juden aufs Geratewohl riesige Sondersteuern aufzuerlegen. Nun entdeckte sie, daß man Juden gegen Devisen ins Ausland verkaufen konnte, und damit wurden die Rumänen zu glühenden Anhängern jüdischer Auswanderung – für 1300 Dollar pro Kopf. So kam es, daß in Rumänien mitten im Kriege eine der wenigen Schleusen für jüdische Auswanderung nach Palästina entstand. Als die Rote Armee heranrückte, wurde Antonescu noch »gemäßigter«, jetzt war er sogar bereit, die Juden ohne Entgelt ziehen zu lassen.
    Antonescu war von Anfang bis zum Ende nicht eigentlich »radikaler« als die Nazis (wie Hitler meinte), sondern eigenartigerweise der deutschen Entwicklung immer um eine Fußlänge voraus. Als erster machte er seine Juden staatenlos, und er hatte sie in aller Öffentlichkeit abschlachten lassen, als die Nazis noch vorsichtig ausprobierten, wie weit man gehen könne. Er verfiel auf die Idee, Juden zu verkaufen, ein reichliches Jahr früher als Himmler auf sein »Blut-gegen-Ware«-Geschäft, und er endete damit, wie Himmler schließlich auch, daß er die ganze Angelegenheit abblies, als sei sie eine bedauerliche Fehlleistung gewesen. Im August 1944 kapitulierte Rumänien vor der Roten Armee, und Eichmann, der Evakuierungsspezialist, wurde Hals über Kopf von Ungarn hinuntergeschickt, um einige »Volksdeutsche« herauszuholen – ohne Erfolg. Ungefähr die Hälfte von Rumäniens 850 000 Juden blieb am Leben, und eine große Anzahl davon – mehrere hunderttausend – fand den Weg nach Israel. Wie viele Juden heute noch in Rumänien leben, weiß niemand. Die rumänischen Mörder wurden alle rechtens hingerichtet, und Killinger beging Selbstmord, ehe er den Russen in die Hände fiel; nur Hauptsturmführer a. D. Richter, dem es allerdings nie vergönnt war, in Aktion zu treten, lebte bis zum Jahre 1961 unbehelligt in Deutschland – dann erst wurde auch er ein spätes Opfer des Eichmann-Prozesses.

XII Die Deportation aus Mitteleuropa: Ungarn und die Slowakei
    UNGARN , das wir bereits erwähnten, als die Rede von Eichmanns Gewissen war, hatte eine in der Geschichte wohl einzigartige Staatsform. Es war ein Königreich ohne König, und obwohl das Land keinen Zugang zum Meer und weder eine Flotte noch eine Handelsmarine besaß, wurde es von einem Admiral regiert bzw von ihm »verwest«, nämlich stellvertretend für den nichtexistierenden König verwaltet. Dies besorgte Reichsverweser oder Admiral Nikolaus von Horthy. Das einzig sichtbare Zeichen einer Monarchie war ein Überangebot an Hofräten, die den nichtexistierenden Hof beraten sollten. Einst hatten hier die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als Könige regiert, und als es damit im Jahre 1806 vorbei war, hatten die Habsburger als Kaiser von Österreich und Könige von Ungarn die kaiserlich-königliche Monarchie an der Donau mühsam zusammengehalten. 1918 war das Habsburgerreich in Nachfolgestaaten aufgelöst worden, Österreich wurde eine Republik, die auf den Anschluß an Deutschland hoffte, und Otto von Habsburg lebte im Exil. Ihn hätten die nationalistischen Magyaren nie als König von Ungarn anerkannt; ein authentisch ungarisches Königshaus existierte andererseits nicht einmal als historische Erinnerung. Was also Ungarn im Sinne einer der anerkannten Staatsformen wirklich war, blieb Admiral Horthys Geheimnis.
    Diese noch nicht einmal historisch zu rechtfertigenden dynastischen Wahnvorstellungen bildeten die Fassade für eine überkommene Feudalstruktur, in welcher das Elend eines landlosen Bauerntums und der Luxus einer ganz dünnen Oberschicht von adeligen Großgrundbesitzern, die das Land im vollen Sinn des Wortes besaßen, furchtbarere Kontraste geschaffen hatte als irgendwo sonst in diesen von Armut geschlagenen Ländern des europäischen Ostens und Südostens. Und diese Widersprüche im Schoß der Gesellschaft sowie die allgemeine, von einem empörenden Luxus verbrämte Rückständigkeit des Landes verlieh dem gesellschaftlichen und geistigen Leben Budapests seinen eigentümlichen illusionistischen Ton, als hätte man hier sich so lange und so

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