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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Slowaken wie ein Krösus vorgekommen sein.
    Während der ersten anderthalb Jahre ihrer »Unabhängigkeit« waren die Slowaken eifrig bestrebt, die Judenfrage nach ihrer Façon zu lösen. Sie übertrugen die größeren jüdischen Unternehmungen an Nichtjuden, erließen einige antijüdische Gesetze, die in deutschen Augen den »grundsätzlichen Fehler« hatten, getaufte Juden, die vor 1918 konvertiert waren, auszunehmen, sie planten die Einrichtung von Gettos »nach dem Muster des Generalgouvernements« und mobilisierten Juden zur Zwangsarbeit. Sehr früh, im September 1940, war ihnen ein Judenberater zugeteilt worden: Hauptsturmführer Dieter Wisliceny, einst Eichmanns hochbewunderter Vorgesetzter und Freund im Sicherheitsdienst, dem zu Ehren er noch seinen ältesten Sohn Dieter genannt hatte, und nun sein Kollege im gleichen Rang, wurde der deutschen Gesandtschaft in Bratislava attachiert. Wisliceny blieb unverheiratet und konnte daher nicht weiter befördert werden, so wurde er im darauffolgenden Jahr von Eichmann überflügelt und nunmehr dessen Untergebener. Das hat, nach Eichmanns Meinung, an ihm »genagt«; er sah darin die Erklärung dafür, daß Wisliceny als Zeuge im Nürnberger Prozeß so vernichtende Aussagen über ihn gemacht und sogar angeboten hatte, sein Versteck ausfindig zu machen. Aber das ist fraglich, Wisliceny wollte vermutlich nur seine eigene Haut retten – er war ein völlig anderer Typ als Eichmann. Er gehörte zu der gebildeten Schicht innerhalb der SS, lebte zwischen Büchern und Schallplatten, ließ sich in Ungarn von den Juden mit »Baron« titulieren und interessierte sich ganz allgemein mehr für Geld als für seine Karriere; infolgedessen war er unter den ersten in der SS, die »gemäßigte« Tendenzen entwickelten.
    Während der ersten Jahre geschah in der Slowakei nicht viel, bis Eichmann im März 1942 in Bratislava erschien, um die Evakuierung von 20 000 »jungen und kräftigen Arbeitsjuden« auszuhandeln. Vier Wochen später suchte Heydrich selbst den Premierminister Vojtech Tuka auf, den er überredete, alle Juden einschließlich der bislang ausgenommenen getauften Juden nach dem Osten umsiedeln zu lassen. Die Regierung, mit einem Priester als Staatsoberhaupt, machte weiter keine Schwierigkeiten, den ursprünglichen, »grundsätzlichen Fehler«, zwischen Juden und Christen auf Grund des Sakraments der Taufe zu unterscheiden, zu korrigieren, zumal ihr mitgeteilt wurde, daß »bezüglich des Eigentums dieser Juden von den Deutschen kein Anspruch erhoben werde, mit Ausnahme einer Zahlung von 500 Reichsmark als Entgelt für jeden abgegebenen Juden«; im Gegenteil, die Slowaken verlangten eine zusätzliche Garantie von der deutschen Regierung, daß »Juden, die aus der Slowakei entfernt und [von den Deutschen] in Empfang genommen worden sind, für immer in den Ostgebieten bleiben und keine Gelegenheit zur Rückkehr nach der Slowakei bekommen«. Um diese Verhandlungen auf höchster Ebene in die Wirklichkeit umzusetzen, unternahm Eichmann eine zweite Reise nach Bratislava, die, wie bereits erwähnt, mit dem Attentat auf Heydrich zusammenfiel, und das Ergebnis war, daß in kürzester Frist, bis zum Juni 1942, die slowakische Polizei 52 000 Juden nach den Mordzentren in Polen deportieren konnte. Danach gab es immer noch etwa 35 000 Juden im Lande, die alle zu den ursprünglich ausgenommenen Kategorien gehörten – getaufte Juden und ihre Eltern, Angehörige bestimmter Berufe, junge Männer in Zwangsarbeitsbataillonen, einige wenige Geschäftsleute. Jetzt erst, als bereits die meisten Juden »umgesiedelt« waren, gelang es dem Jüdischen Hilfs- und Rettungskomitee von Bratislava, einer Schwesterorganisation der ungarischen Zionisten, Wisliceny zu bestechen; er versprach, das Tempo der Deportationen zu verlangsamen, und schlug außerdem den sogenannten Europaplan vor, den er dann später in Budapest noch einmal auftischen sollte. Daß Wisliceny in dieser Sache irgend etwas unternommen hat, ist unwahrscheinlich. Vermutlich hat er nie viel mehr getan, als Bücher zu lesen und Musik zu hören – und natürlich zu nehmen, was er kriegen konnte. Doch gerade zu diesem Zeitpunkt klärte der Vatikan die katholische Priesterschaft über die wahre Bedeutung des Wortes »Umsiedlung« auf, und von da an wurden die Deportationen sehr unpopulär, wie der deutsche Botschafter Hans Elard Ludin dem Auswärtigen Amt in Berlin berichtete. Die slowakische Regierung begann sogar, sich für die bereits

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