Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
war die Rote Armee bereits in Rumänien, wohin Eichmann noch schnell mit seinem sinnlosen Auftrag geschickt wurde. Als er zurückkam, hatte das Horthy-Regime sich dazu aufgerafft, den Abzug des Eichmann-Kommandos zu verlangen, und Eichmann selbst bat in Berlin darum, ihn und seine Leute zurückkehren zu lassen, da sie »überflüssig geworden« seien. Aber Berlin tat nichts dergleichen und behielt recht damit, denn Mitte Oktober schlug die Situation noch einmal abrupt um. Während die Russen nur etwa 150km von Budapest entfernt standen, gelang es den Nazis, die Horthy-Regierung zu stürzen und den Führer der Pfeilkreuzler, Ferenc Szálasi, zum Staatsoberhaupt zu machen. Nach Auschwitz konnten keine Transporte mehr geschickt werden, da die Vernichtungsanlagen gerade demontiert werden sollten, während gleichzeitig in Deutschland die Arbeitskräfte immer knapper wurden. Nun war es Veesenmayer, der Reichsbevollmächtigte, der mit dem ungarischen Innenministerium wegen der Genehmigung verhandelte, 50 000 Juden – Männer zwischen 16 und 60 Jahren und Frauen unter 40 – nach dem Reich zu transportieren; seinem Bericht fügte er hinzu, daß Eichmann weitere 50 000 zu schicken hoffe. Da das Eisenbahnsystem nicht mehr funktionierte, bedeutete dies den Beginn der tödlichen Fußmärsche vom November 1944, die erst durch einen Befehl von Himmler abgebrochen wurden. Die Juden, die auf diese Märsche geschickt wurden, hatte die ungarische Polizei aufs Geratewohl verhaftet, ohne Rücksicht auf die Schutzpässe der neutralen Länder und auch ohne Rücksicht auf die in den Direktiven vorgesehenen Altersgrenzen. Auf dem Marsch wurden sie von Pfeilkreuzlern bewacht, die sie ausraubten und mit äußerster Brutalität behandelten. Und das war das Ende. Von einer jüdischen Bevölkerung von ursprünglich 800 000 müssen noch etwa 160 000 im Budapester Getto übriggeblieben sein – die ungarische Provinz war »judenrein« –, und von diesen wurden Zehntausende noch zu Opfern spontaner Pogrome, nachdem die Deutschen abgezogen waren. Am 13. Februar ergab sich Ungarn der Roten Armee.
Die ungarischen Hauptschuldigen an den Massenmorden wurden alle vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Keiner der deutschen Anstifter, mit Ausnahme Eichmanns, bezahlte mit mehr als einigen Jahren Haftstrafe.
Die SLOWAKEI war wie Kroatien eine Erfindung des deutschen Auswärtigen Amtes. Die Slowaken waren schon zu Verhandlungen über ihre »Unabhängigkeit« nach Berlin gekommen, ehe noch die Deutschen im März 1939 die Tschechoslowakei besetzten, und damals hatten sie Göring versprochen, daß sie Deutschland in der Behandlung der Judenfrage getreulich folgen würden. Doch das war im Winter 1938/39 gewesen, als noch niemand von so etwas wie einer »Endlösung« vernommen hatte. Das winzige Land, mit einer armen bäuerlichen Bevölkerung von etwa 2½ Millionen und mit 90 000 Juden, war primitiv, rückständig und streng katholisch. Es wurde damals von einem katholischen Priester, Josef Tiso, regiert. Selbst die faschistische Bewegung, die Hlinka-Garde, war katholisch, und der wütende Judenhaß dieser klerikalen Faschisten oder faschistischen Klerikalen unterschied sich sowohl im Stil als auch im Inhalt von dem ultramodernen Rassenantisemitismus ihrer deutschen Herren. In der slowakischen Regierung gab es nur einen modernen Antisemiten, das war der Innenminister Sano Mach, Eichmanns guter Freund. Alle anderen waren Christen oder hielten sich jedenfalls dafür, während die Nazis im Prinzip natürlich ebenso antichristlich wie antijüdisch waren. Daß die Slowaken Christen waren, bedeutete nicht nur, daß sie sich verpflichtet fühlten, die von den Nazis für »überholt« erklärte Unterscheidung zwischen getauften und ungetauften Juden zu betonen, sondern auch, daß sie an das ganze Problem mit mittelalterlichen Begriffen herangingen. Für sie bestand eine »Lösung« in der Austreibung der Juden und der Übernahme ihres Besitzes, nicht jedoch in systematischer Ausrottung, obgleich ihnen gelegentliches Morden nichts ausmachte. Die größte »Sünde« der Juden war nicht, daß sie zu einer fremden »Rasse« gehörten, sondern daß sie reich waren. Nun konnte man die Juden in der Slowakei nach westlichen Begriffen nicht gerade reich nennen, aber als 52 000 ihren Besitz deklarieren mußten, weil er mehr als 800 Mark wert war, und sich dabei herausstellte, daß ihr Gesamtvermögen sich auf 400 Millionen Mark belief, muß jeder Jude jedem
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