Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
herstellen konnte. Drei Leute kamen in erster Linie in Betracht – László Endre, der wegen seines Antisemitismus, den sogar Horthy »wahnsinnig« genannt hatte, gerade zum Staatssekretär für Politische (Jüdische) Angelegenheiten im Innenministerium ernannt worden war, László Baky, ebenfalls Staatssekretär im Innenministerium, der die sogenannte Gendarmerie, die ungarische Polizei, unter sich hatte, und der Polizeioffizier Oberstleutnant Ferenczy, der direkt für Deportationen zuständig war. Mit ihrer Hilfe konnte Eichmann sich darauf verlassen, daß alle notwendigen Vorbereitungen, das Erlassen von Verordnungen und die Konzentrierung der Juden in der Provinz, »schlagartig« vor sich gehen würden. In Wien wurde eine besondere »Fahrplankonferenz« mit deutschen Reichsbahnbeamten abgehalten, da es sich bei dieser Aktion um den sofortigen Transport von beinahe einer halben Million Menschen handelte. Höß in Auschwitz wurde von dem Plan durch seinen eigenen Vorgesetzten, General Richard Glücks vom WVHA, informiert und veranlaßte den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke, auf der die Waggons bis auf einige Meter an die Krematorien heranfahren konnten; die Zahl der Mitglieder der Todeskommandos, die die Gaskammern bedienten, wurde von 224 auf 860 Arbeiter erhöht, bis alles bereitstand, um täglich 6000 bis 12 000 Menschen zu ermorden. Als die Züge, vom Mai 1944 an, in Auschwitz ankamen, wurden sehr wenige »arbeitsfähige« Männer zum »Arbeitseinsatz« ausgesucht, und diese wenigen arbeiteten in der Munitionsfabrik von Krupp in Auschwitz. (Das neu errichtete Berthawerk von Krupp bei Breslau versuchte mit allen Mitteln, jüdische Arbeitskräfte zu bekommen; sie lebten unter Bedingungen, die, selbst wenn man sie mit denen der Arbeitskolonnen in den Todeslagern vergleicht, aller Beschreibung spotten.)
Die ganze Operation dauerte weniger als zwei Monate und kam Anfang Juli 1944 zu einem plötzlichen Stillstand. Die Weltöffentlichkeit war, was hauptsächlich den Zionisten zu verdanken war, von den Vorgängen in Ungarn viel besser und detaillierter unterrichtet worden als von irgendeiner anderen Phase der jüdischen Katastrophe, und eine Sintflut von Protesten aus den neutralen Ländern und dem Vatikan ging ständig auf Horthy nieder. Daß dabei gerade der päpstliche Nuntius erklären zu müssen glaubte, der Protest des Vatikans sei nicht etwa »einem falschen Gefühl von Erbarmen« entsprungen, dürfte wohl für alle Zeiten ein Zeichen dessen bleiben, wie es selbst in den Köpfen der höchsten Würdenträger der Kirche damals aussah, als sie sich mit den letzten Konsequenzen des Evangeliums der »rücksichtslosen Härte« konfrontiert sahen, das von Männern gepredigt wurde, denen sie in jahrelangen Verhandlungen einen Kompromiß nach dem andern zugestanden hatten. Wieder ergriff Schweden, was die praktischen Maßnahmen anging, die Führung und verteilte Einreisepapiere; die Schweiz, Spanien und Portugal schlossen sich an, so daß schließlich etwa 35 000 Juden in Budapest in besonderen Häusern unter dem Schutz neutraler Länder lebten. Die Alliierten publizierten eine Liste von 70 Männern, die als die Hauptschuldigen bekannt waren, und Roosevelt drohte in einem Ultimatum, daß »Ungarns Schicksal nicht wie das irgendeiner anderen zivilisierten Nation sein wird …, wenn die Deportationen nicht sofort aufhören«. Ein ungewöhnlich schwerer Luftangriff auf Budapest am 2. Juli verlieh der Warnung Nachdruck. So von allen Seiten unter Druck gesetzt, befahl Horthy, die Deportationen einzustellen, und eins der belastendsten Beweismittel gegen Eichmann bestand in der offenkundigen Tatsache, daß er den Befehl »des alten Trottels« nicht befolgte, sondern Mitte Juli weitere 1500 Juden deportierte, die in einem Konzentrationslager in der Nähe von Budapest greifbar waren. Damit die jüdischen Funktionäre auf keinen Fall Horthy informieren könnten, holte er die Mitglieder der beiden repräsentativen Körperschaften in sein Büro, wo Dr. Hunsche sie unter verschiedenen Vorwänden zurückhielt, bis die Mitteilung kam, der Zug habe ungarisches Gebiet verlassen. Eichmann hatte in Jerusalem von dieser Episode nichts mehr im Gedächtnis, und obwohl die Richter »überzeugt [waren], daß der Angeklagte sich an seinen Sieg über Horthy sehr gut erinnert«, ist das zweifelhaft, denn für Eichmann war Horthy kein sehr hoher Herr.
Dies scheint der letzte Zug gewesen zu sein, der von Ungarn nach Auschwitz fuhr. Im August 1944
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