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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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schließlich wurden statt der 15 bis 20 »Hintergrundszeugen«, die ursprünglich vorgesehen waren, 65 »Leiden-des-jüdischen-Volkes-Zeugen«, wie die Gerichtsbehörden sie nannten, in den Zeugenstand gerufen. 23 von insgesamt 121 Sitzungen waren ausschließlich dem »Hintergrund« gewidmet, was darauf hinauslief, daß sie keinen sichtbaren Zusammenhang mit dem Fall hatten. Obgleich die Belastungszeugen kaum jemals ins Kreuzverhör genommen wurden, weder von der Verteidigung noch von den Richtern, wurden in das Urteil aus ihren Aussagen über Eichmann nur solche Dinge aufgenommen, die durch andere Beweismittel bestätigt wurden. (So lehnten die Richter es z. B. ab, Eichmann den Mord an dem jüdischen Jungen in Ungarn zur Last zu legen; oder die Verantwortung für die »Kristallnacht« in Deutschland und Österreich, über deren Zustandekommen er seinerzeit sicherlich gar nichts und noch in Jerusalem wesentlich weniger gewußt hat als jeder nur leidlich informierte Kenner des Naziregimes; oder für den Mord an 93 Kindern aus Lidice, die nach dem Attentat auf Heydrich nach Lodz deportiert wurden, denn »auf Grund des uns vorliegenden Beweismaterials kann nicht als erwiesen gelten, daß sie ermordet wurden«; oder die Schuld an der gespenstischen Tätigkeit der Einheit 1005, die »uns einige der grauenvollsten Höllenvisionen im Kapitel der Zeugenvernehmungen der Staatsanwaltschaft vor Augen geführt« haben – diese Einheit hatte die Aufgabe, die Massengräber im Osten wieder aufzugraben und die Leichen völlig zu vernichten, um alle Spuren des Gemetzels zu beseitigen, und zwar unter dem Kommando von Standartenführer Paul Blobel, der nach seiner eigenen Aussage vor dem Nürnberger Tribunal seine Befehle von Müller, dem Leiter des Amtes IV des RSHA empfing; oder ihn mit den schrecklichen Umständen zu belasten, unter denen in den letzten Kriegsmonaten Juden, die in den Vernichtungslagern überlebt hatten, nach Bergen-Belsen und anderen Konzentrationslagern in Deutschland evakuiert wurden.) Der eigentliche Inhalt dieser Aussagen von Hintergrundszeugen – über die Bedingungen in den polnischen Gettos, über die Prozeduren in den verschiedenen Todeslagern, über Zwangsarbeit und ganz allgemein die Absicht, die Menschen sich buchstäblich zu Tode arbeiten zu lassen – war niemals strittig gewesen, im Gegenteil, ihre Berichte enthielten kaum etwas, das nicht vorher schon bekannt gewesen wäre. Eichmanns Name fiel, wenn überhaupt, nur in Aussagen, die aus zweiter Hand, vom Hörensagen, stammten, Gerüchte wiedergaben und deshalb keine rechtliche Gültigkeit besaßen. Sobald eine konkrete Frage an sie gerichtet wurde, fielen die Aussagen aller dieser Zeugen, die »ihn mit eigenen Augen gesehen hatten«, in sich selbst zusammen, und das Urteil befand, »daß der Schwerpunkt seiner Handlungen im Reich selbst, im Protektorat und in den Ländern Westeuropas, im Norden, im Süden, im Südosten und auch in Zentraleuropa zu finden ist« – das heißt, überall außer im Osten. Warum hat dann das Gericht nicht auf diese Vernehmungen verzichtet, die sich über Wochen und Monate hinstreckten? Bei der Erörterung dieser Frage klang das Urteil leicht apologetisch und gab schließlich eine merkwürdig inkonsequente Erklärung: »Da … der Angeklagte alle Punkte der Anklageschrift bestritten habe«, hätten die Richter »auch Aussagen über den Tatsachenhintergrund« nicht außer acht lassen können. Der Angeklagte hatte indes die in der Anklageschrift aufgeführten Fakten nie bestritten, er hatte nur bestritten, »im Sinne der Anklage« für sie verantwortlich zu sein.
    Die Richter befanden sich tatsächlich in einem äußerst unangenehmen Dilemma. Ganz zu Anfang des Prozesses hatte Dr. Servatius die Unbefangenheit der Richter in Zweifel gezogen; nach seiner Meinung war kein Jude qualifiziert, über die Vollstrecker der »Endlösung« zu Gericht zu sitzen. Hierauf hatte der vorsitzende Richter geantwortet: »Wir sind Berufsrichter, wir sind gewöhnt an das Abwägen von Beweismitteln, die uns vorgelegt werden, und wir tun unsere Pflicht vor dem prüfenden Auge der Öffentlichkeit und stellen uns ihrer Kritik. Wenn ein Gericht amtiert, dann sind die Richter, aus denen es sich zusammensetzt, Menschen aus Fleisch und Blut, mit Gefühlen und Empfindungen, aber ihnen ist durch das Gesetz die Pflicht auferlegt, diese Gefühle und Empfindungen in den Hintergrund zu stellen. Anders ließe sich nie ein Richter finden, der einen

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