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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Strafprozeß führen könnte, in dem sein Abscheu erweckt werden muß … Es läßt sich nicht leugnen, daß die Erinnerung an die Massenmorde der Nazis jeden Juden erschüttert, aber solange dieser Fall uns vorliegt, wird es unsere Pflicht sein, dieses Gefühl zurückzudrängen, und diese Pflicht werden wir erfüllen.« Diese klaren und offenen Worte erledigten Dr. Servatius’ Einwände, es sei denn, er hätte implizieren wollen, daß man Juden nicht gut das rechte Verständnis für das Problem zumuten könne, das ihre Gegenwart inmitten der Völker hervorgerufen habe, und daß die Richter also dem Bedürfnis nach einer »Endlösung der Judenfrage« nicht gerecht werden können. Aber ironischerweise hätte man auf dieses Argument mit dem Gegenargument antworten können, daß Eichmann nach seinem eigenen wiederholten Zeugnis alles, was er über die »Judenfrage« wußte, bei jüdisch-zionistischen Autoren gelernt hatte, aus den »grundlegenden Werken« Theodor Herzls und Adolf Böhms. Wer konnte da wohl besser geeignet sein, ihn zu richten, als diese drei Männer, die alle seit ihrer frühen Jugend Zionisten waren?
    Daß die Richter Juden waren und in einem Lande lebten, in dem jeder fünfte Einwohner ein Überlebender der Katastrophe war, fiel im Hinblick auf den Angeklagten nicht ins Gewicht; wohl aber im Hinblick auf die sogenannten Hintergrundzeugen. Herr Hausner hatte eine »tragische Menge« dieser von Leid Gezeichneten zusammengeholt, und jeder einzelne von ihnen wollte diese einzigartige Gelegenheit wahrnehmen, jeder war überzeugt, einen Anspruch darauf zu haben, seine Geschichte gerichtsnotorisch zu machen. Die Richter konnten mit dem Staatsanwalt darüber streiten, ob es richtig und überhaupt angebracht sei, diese Gelegenheit zum »Malen von Gesamtbildern« auszunutzen; befand sich ein Zeuge aber einmal auf dem Zeugenstand, dann war es wirklich schwer, ihn zu unterbrechen »wegen der Ehre des Zeugen und wegen der Dinge, über die er spricht«, wie Richter Landau es ausdrückte. Mit welchem Recht konnten die Richter, menschlich gesehen, sich weigern, diese Menschen anzuhören? Und wer, menschlich gesehen, konnte wagen, ihre Wahrhaftigkeit oder ihr Gedächtnis in Einzelheiten in Frage zu stellen, wenn sie »auf dem Zeugenstand das, was im Tiefsten ihres Herzens verschlossen war«, eröffneten? Und wiewohl die Richter in der Urteilsfindung all dies als bloße »Begleitergebnisse des Prozesses« abtaten, ist nicht zu leugnen, daß es ihnen während des Prozesses nicht gelang, diese »Begleitumstände« einzudämmen, und zwar weil sie eben mitbeteiligt waren.
    Dies war nicht die einzige juristische Schwierigkeit. In Israel wie in den meisten anderen Ländern gilt jemand vor Gericht so lange als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist. Im Falle Eichmanns war das aber eine offenbare Fiktion. Wäre seine Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen gewesen, bevor er vor dem Jerusalemer Gericht erschien, hätte Israel schwerlich wagen können, ihn zu entführen. So schrieb denn auch Premierminister Ben Gurion am 3. Juni 1960 an den Präsidenten von Argentinien, daß Israel zwar »formal argentinisches Gesetz verletzt habe«, aber nur weil es sich eben um den Mann handelte, »der den Massenmord [an 6 Millionen Menschen unseres Volkes] in gigantischem und beispiellosem Maßstab über ganz Europa organisiert hat«. Im Gegensatz zu normalen Strafprozessen, wo der Schuldverdacht zwar einleuchtend genug sein muß, um zur Verhaftung zu führen, die Beweisführung aber dem Verfahren obliegt, in dem schließlich das Resultat niemals als vollkommen gesichert gelten kann, mußte diesmal das Ergebnis des Prozesses risikolos voraussagbar sein, um die illegale Verhaftung überhaupt zu rechtfertigen. Ferner mußte aus den gleichen Gründen feststehen, daß Eichmann eine entscheidende Rolle in der »Endlösung« gespielt hatte. Während des Verfahrens stellte sich heraus, daß seine Schuld zwar einwandfrei feststand, daß man sich aber von seiner Rolle bei dem Zustandekommen der »Endlösung« eine phantastisch übertriebene Vorstellung gemacht hatte; der Mann, den man schließlich nach Jerusalem gebracht hatte, war nicht der Drahtzieher die ser grauenhaften Ereignisse gewesen, sondern ein untergeordnetes ausführendes Organ – nicht Heydrich, sondern eben Eichmann. Es gab mancherlei Gründe für diesen Irrtum. Da war erst einmal Eichmanns Neigung zur Prahlerei, und da war auf der anderen Seite die Tatsache, daß die Angeklagten in den

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