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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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keines »Fachmanns in Judenangelegenheiten«, und auch der bürokratische Apparat, der für diesen Verwaltungsmassenmord so wesentlich war, daß die Einrichtung von »jüdischen Ältestenräten« bereits in diesem ersten Schreiben befohlen wurde, spielte hier nicht die gleiche Rolle. So gab es im Osten auch niemals besondere »Richtlinien« für De portationen und keine privilegierten Kategorien außer der »kurzfristigen« Unterscheidung zwischen Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen. Auch die Mitglieder der Judenräte wurden unweigerlich schließlich bei der Liquidation der Gettos mitermordet, Ausnahmen gab es nicht. Heydrichs Anordnungen waren wohl darauf zurückzuführen, daß mit Massenerschießungen an Ort und Stelle dem »Problem«, etwa 2 Millionen Menschen zu erledigen, nicht beizukommen war, und die Befehlshaber der Wehrmacht hatten offensichtlich gegen die wilden Schießereien protestiert.
    Hätten die Richter Eichmann in diesen vier Punkten, die sich im wesentlichen auf Zeugenaussagen aus dem Osten stützten, freigesprochen, so wären sie dennoch zu keinem anderen Urteil gekommen, und Eichmann wäre der Todesstrafe nicht entgangen. Am Ausgang des Prozesses hätte sich nichts geändert. Aber sie hätten dann in der Tat die von der Staatsanwaltschaft errichtete Gesamtkonstruktion des Falles Eichmann ohne jede Einschränkung zurückgewiesen.

XIV Beweismittel und Zeugen
    In den letzten Kriegswochen war die SS-Bürokratie hauptsächlich damit beschäftigt, sich mit falschen Ausweispapieren zu versehen und die Aktenberge, die sich in sechs Jahren systematischen Mordens angesammelt hatten, zu zerstören. Eichmanns Abteilung war es gründlicher als anderen gelungen, ihre Unterlagen zu verbrennen – womit natürlich nicht viel erreicht war, denn die ganze Korrespondenz von IV-B-4 war an andere Staats- oder Parteistellen gegangen, deren Akten in die Hände der Alliierten fielen. Mehr als genug Dokumente sind erhalten geblieben, um die Geschichte der »Endlösung« zu erzählen; zur Zeit des Eichmann-Prozesses waren die meisten von den Nürnberger Prozessen und den Nachfolgeprozessen her längst bekannt. Zur Bestätigung der Geschichte lagen beeidigte und unbeeidigte Erklärungen vor, im allgemeinen von Zeugen und Angeklagten aus früheren Prozessen, häufig von Personen, die nicht mehr am Leben waren. (Dies alles sowie in gewissem Umfang auch auf Hörensagen basierende Aussagen wurden als Beweismaterial zugelassen, da das Gericht gemäß Absatz 15 des Gesetzes, das dem Verfahren gegen Eichmann zugrunde lag, »von den Regeln der Beweiserhebung« unter der Voraussetzung »abweichen darf, [daß es] die Gründe darlegt, die Anlaß [für die Abweichung] waren«.) Als Ergänzung kamen Aussagen hinzu, die im Ausland, vor deutschen, österreichischen und italienischen Gerichten, von 16 Zeugen abgegeben wurden, die nicht nach Jerusalem kommen konnten, weil der Generalstaatsanwalt angekündigt hatte, er »beabsichtige, sie wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk vor Gericht zu bringen«. Was in ausgesprochenem, nie aufgeklärtem Widerspruch zu einer Erklärung in der ersten Sitzung stand: »Und wenn der Verteidigung Personen zur Verfügung stehen, die bereit sind, als Zeugen hierherzukommen, werde ich dem nichts in den Weg legen. Ich werde keine Hindernisse bereiten.« Die Weigerung, freies Geleit zuzusichern, war offenbar Regierungsbeschluß, da Strafantrag nach dem »Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihrer Helfershelfer« nicht obligatorisch ist. Nun war es höchst unwahrscheinlich, daß einer der 16 Herren, ganz gleich zu welchen Bedingungen, nach Israel gekommen wäre – sieben von ihnen saßen im Gefängnis –, und das Ganze war nur formaljuristisch von Bedeutung. Immerhin bot es eine Handhabe gegen den Anspruch Israels, daß vor allem auch technisch ein israelisches Gericht »am besten geeignet sei, ein Verfahren gegen die Ausführenden der Endlösung zu führen«, da in Israel Dokumente wie Zeugen »in größerer Auswahl als in irgendeinem anderen Lande« zur Verfügung stünden. (In bezug auf die Dokumente war diese Behauptung ohnehin zweifelhaft, da das israelische Archiv Yad Washem relativ spät gegründet wurde und in keiner Weise den anderen großen Archiven überlegen ist.) Jetzt zeigte sich, daß Israel das einzige Land der Welt war, wo Entlastungszeugen nicht vernommen werden konnten und wo die Verteidigung gewisse Belastungszeugen, nämlich jene, die für vorhergegangene Prozesse eidesstattliche

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