Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Nichtjuden, auch das habe ich nicht.« Die Anklage, außerstande, einen Massenmörder zu verstehen, der keinen Menschen getötet hatte und in diesem Fall wohl nicht einmal die Courage dazu besaß, suchte immer wieder, wenigstens einen konkreten Mord oder Totschlag nachzuweisen. Vergeblich.
Das bringt uns zur vierten und letzten Frage, die Eichmanns allgemeine Zuständigkeit in den Ostgebieten betrifft – zu der Frage, wieweit er verantwortlich war für die unmenschlichen Lebensbedingungen in den Gettos und ihre schließliche Liquidierung, die Gegenstand der meisten Zeugenaussagen gebildet hatten. Auch hier hatte Eichmann über alles genau Bescheid gewußt, doch zu seinem Aufgabengebiet gehörte nichts davon. Die Anklage gab sich die größte Mühe, das Gegenteil zu beweisen, und berief sich darauf, daß Eichmann ja offen zugegeben habe, er hätte gelegentlich – entsprechend den ewig wechselnden Richtlinien – entscheiden müssen, was mit Juden fremder Staatsangehörigkeit zu geschehen hatte, die zufällig in Polen gestrandet waren. Dies, hatte er erklärt, seien »reichswichtige Angelegenheiten« gewesen, die das Auswärtige Amt mit angingen und »den Generalgouvernementsrahmen sprengten«. In bezug auf solche Juden gab es in allen deutschen Ämtern zwei verschiedene Richtungen: die »radikale«, die alle Unterschiede ignorieren wollte – ein Jude war ein Jude und fertig –, und die »gemäßigte« Richtung, die es für besser hielt, diese Juden für Austauschzwecke »auf Eis« zu legen. (Der Einfall mit den Austauschjuden scheint von Himmler zu stammen. Nach dem Eintritt Amerikas in den Krieg schrieb er – im Dezember 1942 – an Müller, daß »all diejenigen Juden, die einflußreiche Verwandte in Amerika haben, in einem Sonderlager zusammenzufassen sind«, also leben bleiben sollten, und er fügte hinzu: »Diese Art von Juden sind für uns wertvolle Geiseln. Ich stelle mir hierunter eine Zahl von 10 000 vor.«) Natürlich gehörte Eichmann zu der »radikalen« Gruppe, er war prinzipiell gegen Ausnahmen, schon aus verwaltungstechnischen, aber auch aus »idealistischen« Gründen. Aber als er im April 1942 an das Auswärtige Amt schrieb, »daß in Zukunft auch ausländische Staatsbürger in die von der Sicherheitspolizei im Getto Warschau ergriffenen Maßnahmen einzubeziehen sind«, von denen Juden mit ausländischen Pässen bis dahin sorgfältig verschont geblieben waren, handelte er wohl kaum »mit Entscheidungsbefugnis im Namen des RSHA« im Osten, und gewiß besaß er dort keine »Vollmachten, seine Entscheidungen durchzusetzen«. Noch weniger läßt die Tatsache, daß er von Heydrich und Himmler hin und wieder dazu benutzt wurde, bestimmte Befehle an einzelne Kommandanten im Osten weiterzugeben, auf solche Machtbefugnisse oder Zuständigkeit schließen.
In gewissem Sinne stand es um all diese Dinge noch erheblich furchtbarer, als das Gericht in Jerusalem annahm. Heydrich besaß, wie das Urteil mit Recht annahm, die globale Zuständigkeit für die Durchführung der »Endlösung«, ohne alle territorialen Einschränkungen. Hieraus schlossen die Richter, daß Eichmann, dessen Amt das zentrale ausführende Organ für Judenangelegenheiten war, überall in gleichem Maße verantwortlich gewesen sei. Dies traf aber nur für die nun wirklich im Rahmen der »Endlösung« erfolgten Operationen zu, und zu diesen gehörten keineswegs die Operationen in den im Osten besetzten Gebieten, und zwar aus dem einfachen Grund, daß über das Schicksal der »Ostjuden« lange vor dem Entscheid der »Endlösung« befunden worden war. Zwar hatte Heydrich einen Vertreter des Generalgouvernements, den Staatssekretär Dr. Joseph Bühler, zur Wannsee-Konferenz kommen lassen, aber nicht, um mit ihm die Vernichtung des polnischen Judentums zu diskutieren, sondern um diese Vernichtungsaktionen mit den aus der »Endlösung« sich ergebenden Aufgaben der Liquidierung des gesamten europäischen Judentums abzustimmen.
Die Vernichtung des polnischen Judentums war von Hitler nicht im Mai oder Juni 1941, dem Datum des »Endlösungsbefehls«, sondern im September 1939 befohlen worden, wie die Richter aus der Aussage Lahousens von der deutschen Abwehr im Nürnberger Prozeß wußten: »Hitler [hatte] bereits im September 1939 beschlossen, die Juden Polens umzubringen.« (Hierfür spricht auch, daß der Judenstern, der im Reich erst 1941 zu Zeiten der »Endlösung« eingeführt wurde, im Generalgouvernement unmittelbar nach der Besetzung des
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