Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Versicherungen abgegeben hatten, nicht ins Kreuzverhör nehmen konnte. Das wog um so schwerer, als tatsächlich »der Angeklagte keine eigenen Entlastungsdokumente herbeischaffen« konnte. (Dr. Servatius hatte im Vergleich zu den 1500 Dokumenten der Anklage 110 Dokumente vorgelegt, darunter aber nur etwa ein Dutzend selbst beschafft, die obendrein zum größten Teil aus Auszügen aus den Büchern von Poliakov und Reitlinger bestanden; alle übrigen von ihm vorgelegten Entlastungsdokumente waren, mit Ausnahme der 17 von Eichmann hergestellten Skizzen, aus der Fülle des vom Staatsanwalt und der israelischen Polizei zusammengetragenen Materials aussortiert. Der Verteidiger nährte sich offensichtlich von den Brosamen vom Tisch des reichen Mannes.) Tatsächlich hatte die Verteidigung »weder die erforderliche Zeit noch die Mittel«, den Angeklagten angemessen zu vertreten, ihr »standen nicht die Archive der Welt und die Machtmittel der Regierung« zur Verfügung. Der gleiche Vorwurf war in den Nürnberger Prozessen erhoben worden, wo die ungleiche Situation von Anklage und Verteidigung noch eklatanter war. In Nürnberg wie in Jerusalem litt die Verteidigung erheblich darunter, daß sie über keinen Stab von ausgebildeten Hilfsarbeitern verfügte, welche die Massen von Dokumenten hätten durchgehen und heraussuchen können, was für den jeweiligen Fall als Entlastung in Frage kam. Selbst heute, nahezu 20 Jahre nach dem Kriege, kennen wir aus dem ungeheuren Aktenmaterial des Naziregimes kaum mehr, als was zu Zwecken der Strafverfolgung aussortiert und veröffentlicht worden ist.
Niemandem dürften die prinzipiellen Nachteile der Verteidigung in solchen Fällen bekannter gewesen sein als Dr. Servatius, der schon in Nürnberg als Anwalt aufgetreten war. Was die Frage, warum er seine Dienste überhaupt angeboten hat, noch interessanter machte, als sie ohnehin ist. Er behauptete, es sei für ihn »eine rein geschäftliche causa« (sic!) gewesen, »nicht anders als Kollegen Strafsachen übernehmen, um Geld zu machen«. Doch muß er aus seiner Nürnberger Erfahrung gewußt haben, daß die ihm von der israelischen Regierung gezahlte Summe – 20 000 Dollar, nach seinem eigenen Vorschlag – lächerlich unangemessen war, selbst wenn man dazu noch 15 000 Mark rechnet, die von der Familie Eichmanns in Linz kamen. Fast vom ersten Tag des Prozesses an beklagte er sich denn auch über die unerwartet hohen Spesen und erklärte ganz offen, er hoffe die »Memoiren«, die Eichmann im Gefängnis zur Belehrung »künftiger Generationen« zu schreiben beabsichtigte, verkaufen zu können. Ganz abgesehen von der berufsethischen Seite eines derartigen Geschäfts mit seinem Mandanten, wurden seine Hoffnungen enttäuscht, da die israelische Regierung alles von Eichmann im Gefängnis zu Papier Ge brachte kurzerhand beschlagnahmte. (Diese Papiere sind jetzt im Nationalarchiv deponiert.) Diese Aufzeichnungen, »Meine Memoiren« betitelt, wurden der Presse nicht zur Verfügung gestellt, obgleich sie offenbar von Hausner als Beweismaterial benutzt wurden und von Servatius im Berufungsverfahren als »neues Tatsachenmaterial«, was es natürlich nicht sein konnte, vorgelegt wurden.
Was die Stellungnahme des Angeklagten selbst anlangte, so konnte das Gericht sich auf die detaillierten Auskünfte stützen, die er gegenüber dem israelischen Polizeioffizier abgegeben hatte, wozu als Ergänzung die zahlreichen handschriftlichen Notizen kamen, die er während der elf Monate der Untersuchungshaft eingereicht hatte. Die Freiwilligkeit dieser Erklärungen wurde niemals von irgendeiner Seite in Zweifel gezogen; die meisten bezogen sich nicht einmal auf zuvor gestellte Fragen. Eichmann war mit 1600 Dokumenten konfrontiert worden, von denen er manche, wie sich herausstellte, schon gekannt haben muß: sie waren ihm nämlich in Argentinien während seines Interviews mit Sassen gezeigt worden, das Herr Hausner mit einiger Berechtigung eine »Generalprobe« nannte. Aber erst in Jerusalem hatte er ernsthaft daran zu arbeiten begonnen, und als er selbst in den Zeugenstand trat, wurde schnell deutlich, daß er seine Zeit nicht verschwendet hatte: er hatte gelernt, mit Dokumenten umzugehen, was er während des Polizeiverhörs noch nicht gekonnt hatte, er kannte sich in der Materie erheblich besser aus als sein Anwalt. Schließlich erwies sich Eichmanns Zeugenaussage vor Gericht als das wichtigste Beweismaterial in dem ganzen Verfahren. Die Verteidigung stellte ihn
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