Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
entschied, daß es nicht darauf ankäme, ob diese Israelis als Regierungsbeauftragte oder als private Bürger gehandelt hätten. Weder die Verteidigung noch das Gericht erwähnten, daß Argentinien auf seine Rechte nicht so entgegenkommend verzichtet hätte, wäre Eichmann argentinischer Staatsbürger gewesen. Er hatte dort unter falschem Namen gelebt und sich dadurch selbst des Rechts auf Regierungsschutz begeben, jedenfalls in seiner Eigenschaft als Ricardo Klement (geboren am 23. Mai 1913 in Bolzano, Südtirol, wie sein argentinischer Personalausweis angab), obwohl er erklärt hatte, er sei »deutscher Staatsangehörigkeit«. Und er hatte niemals das fragwürdige Asylrecht in Anspruch genommen, das ihm sowieso nicht geholfen hätte, da Argentinien zwar in Wirklichkeit vielen bekannten Naziverbrechern Asyl gewährt, aber ein internationales Abkommen unterzeichnet hat, in dem festgelegt ist, daß »Völkermord und die sonstigen aufgeführten Handlungen … für Auslieferungszwecke nicht als politische Verbrechen anzusehen sind«. All das machte Eichmann nicht staatenlos, es entkleidete ihn rechtlich nicht seiner deutschen Nationalität, doch es gab der Bundesrepublik einen willkommenen Vorwand, ihm den üblichen Schutz für im Ausland lebende Bürger vorzuenthalten. In anderen Worten – und trotz der unzähligen Seiten juristischer Begründungen, auf so viele Präzedenzfälle gestützt, daß man zum Schluß den Eindruck bekommen mußte, Entführung gehöre zu den gebräuchlichsten Verhaftungsmethoden –: Nur Eichmanns faktische Staatenlosigkeit und nichts anderes erlaubte es dem Jerusalemer Gerichtshof, über ihn zu Gericht zu sitzen. Obwohl Eichmann kein Jurist war, hätte er imstande sein müssen, diese Seite der Sache gebührend einzuschätzen, denn er wußte aus eigener Erfahrung, daß man nur mit staatenlosen Menschen machen kann, was man will. Wußte er nicht aus seinen »Richtlinien«, daß die Juden erst ihrer Staatsangehörigkeit hatten beraubt werden müssen, ehe sie umgebracht werden konnten? Aber er war wohl nicht in der Stimmung, sich mit solchen Finessen abzugeben; denn, mochte es auch eine Fiktion sein, daß er freiwillig nach Israel gekommen war, um sich dem Gericht zu stellen, in Wahrheit hatte er viel weniger Schwierigkeiten gemacht, als irgend jemand erwartet hätte, eigentlich überhaupt keine.
Um 18.30 Uhr am 11. Mai 1960, als Eichmann wie üblich aus dem Autobus stieg, der ihn von seinem Arbeitsplatz nach Hause brachte, wurde er von drei Männern ergriffen und in knapp einer Minute in ein parkendes Auto geworfen, das ihn zu einem vorsorglich gemieteten Haus in einem abgelegenen Vorort von Buenos Aires beförderte. Keine Drogen, keine Stricke, keine Handschellen wurden benutzt; Eichmann erkannte sofort, daß hier Fachleute arbeiteten, da keine unnötige Gewalt angewandt wurde; er wurde nicht verletzt. Auf die Frage, wer er sei, antwortete er sofort: »Ich bin Adolf Eichmann« und fügte überraschend hinzu: »Ich weiß, ich bin in der Hand von Israelis.« (Später erklärte er, daß er in einer Zeitung über Ben Gurions Anordnung, ihn zu suchen und gefangenzunehmen, gelesen habe.) Acht Tage lang, während die Israelis auf das ElAl-Flugzeug warteten, das sie und ihren Gefangenen nach Israel bringen sollte, war Eichmann an ein Bett gefesselt, sein einziger Beschwerdepunkt in der ganzen Affäre; am zweiten Tag seiner Gefangenschaft wurde er zur Abgabe einer schrift lichen Erklärung aufgefordert, daß er keine Einwände dagegen habe, vor ein israelisches Gericht gestellt zu werden. Die Erklärung war natürlich vorbereitet, er sollte sie lediglich kopieren. Doch zu jedermanns Überraschung bestand er darauf, sei nen eigenen Text zu schreiben, für den er, wie man aus den folgenden Zeilen schließen kann, vermutlich die ersten Sätze der vorbereiteten Erklärung benutzte
»Ich, der Unterzeichnete, Adolf Eichmann, erkläre aus freiem Willen, nachdem nunmehr meine wahre Identität bekannt ist, sehe ich ein, daß es keinen Sinn hat zu versuchen, mich weiter der Gerechtigkeit zu entziehen. Ich erkläre mich bereit, nach Israel zu fahren, um dort vor ein zuständiges Gericht gestellt zu werden. Es versteht sich, daß ich einen Rechtsbeistand bekomme, und ich werde mich bemühen, die Tatsachen meiner letzten Amtsjahre in Deutschland ungeschmückt zu Protokoll zu bringen. Ich will, daß der Welt ein wahres Bild überliefert wird. Ich gebe diese Erklärung aus freiem Willen ab, weder wurde mir etwas
Weitere Kostenlose Bücher