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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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geltenden Bestimmungen unterwarf, zu rechtfertigen brauchen. Diese beiden Prinzipien, die ausführlich innerhalb und außerhalb des Gerichtshofes diskutiert wurden, waren kaum geeignet, die hier in Frage stehenden Dinge zu erhellen, und trugen andererseits nur dazu bei, die wirklich bestehende Analogie zwischen dem Jerusalemer Prozeß und den zahlreichen Prozessen in anderen Ländern, in denen ebenfalls eine Sondergesetzgebung zur Bestrafung der Nazis und ihrer Helfershelfer ergangen war, zu verwischen.
    Das passive Personalitätsprinzip, auf das man sich in Jerusalem auf Grund von P. N. Drosts »Crime of State« (1959) berief, besagt, daß unter gewissen Umständen an die Stelle des forum patriae rei auch das forum patriae victimae , also an die Stelle des Tribunals des Heimatlands des Angeklagten das des Opfers treten könne, und dies hatte leider zur Folge, daß der Staat Anklage im Namen der Opfer erhob, denen im Sinne dieser Theorie ein Recht auf Ahndung der an ihnen verübten Verbrechen zusteht. Dies war der Standpunkt der Anklage, die das Verfahren mit den folgenden Worten eröffnete:
    »An dieser Stelle, an der ich vor Sie trete, Richter in Israel, stehe ich nicht allein. Mit mir treten zu dieser Stunde sechs Millionen Kläger auf. Aber sie können sich nicht mehr erheben. Sie können mit ihren Fingern nicht drohend auf diese Glaszelle weisen und dem Mann, der in ihr sitzt, zurufen: Ich klage an!‹ … Ihr Blut schreit, aber ihre Stimme ist verstummt. Darum werde ich ihr Mund sein: in ihrem Namen werde ich die furchtbare Anklage erheben.«
    Diese pathetischen Erklärungen geben im Grunde allen denen recht, die ohnehin behaupteten, der Prozeß habe mit Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern sei nur aufgezogen worden, um dem Begehren, vielleicht dem Recht der Opfer auf Rache Genüge zu tun. Insofern aber strafrechtliche Verfolgung von so schweren Delikten wie Mord obligatorisch ist und Anklage auch erhoben werden muß, wenn der geschädigte Teil bereit ist, zu vergeben und zu vergessen, setzt die Gesetzgebung in diesen Fällen voraus, daß in den Worten Telford Taylors (im »New York Times Magazine«) »die strafbare Handlung nicht nur an dem direkt Betroffenen verübt wird, sondern primär an der Gemeinschaft, deren Gesetz verletzt worden ist«. Der Straffällige wird vor Gericht gestellt, weil seine Tat die Gemeinschaft als Ganzes schwer bedroht und aus den Fugen gebracht hat, nicht aber, weil wie in Zivilprozessen bestimmte Personen geschädigt worden sind, die nun auf Wiedergutmachung Anspruch haben. Die Wiedergutmachung, die durch strafrechtliche Verfolgung erzielt wird, ist prinzipiell anderer Natur: es ist der politische Körper, an dem etwas wiedergutgemacht werden muß, und es ist die allgemeine öffentliche Ordnung, die außer Betrieb geraten und wiederhergestellt werden muß. Mit anderen Worten: Es geht um das Gesetz selbst und nicht um den Kläger.
    Noch verfehlter allerdings als die Anwendung des passiven Personalitätsprinzips, demgemäß die Staatsanwaltschaft den Prozeß führte, war der Anspruch des Gerichts, auf Grund des Universalprinzips zuständig zu sein, weil dieses im flagranten Widerspruch zu der Prozeßführung wie zu dem Gesetz stand, unter dem gegen Eichmann verhandelt wurde. Universalgerichtsbarkeit, so wurde gesagt, bestünde wegen des universellen Charakters des Verbrechens; das »Verbrechen gegen die Menschheit« gleiche dem alten Verbrechen des Piratentums, und wer es begehe, könne überall ungeachtet des Tatorts ver folgt werden als hostis humani generis im Sinne der überkommenen völkerrechtlichen Bestimmungen. Eichmann war jedoch im wesentlichen des »Verbrechens gegen das jüdische Volk« angeklagt worden, und seine Gefangennahme, die einen Bruch des Völkerrechts darstellte und daher auf Grund des völkerrechtlichen Grundsatzes der Universalgerichtsbarkeit ge rechtfertigt werden sollte, war gewiß nicht darum erfolgt, weil er Verbrechen gegen die Menschheit begangen hatte, sondern ausschließlich wegen seiner Rolle in der »Endlösung der Judenfrage«.
    Es ist eine groteske Vorstellung zu meinen, Israel hätte Eichmann entführt, weil er hostis humani generis und nicht weil er hostis Judaeorum war, aber selbst wenn man dies einmal unterstellen wollte, wäre es schwierig gewesen, hiermit die Legalität seiner Verhaftung zu begründen. Die extraterritoriale Gerichtsbarkeit im Fall des Piraten-Delikts – die mangels eines völkerrechtlich geltenden Strafrechts den einzigen

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