Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Frankreich, kurz, den Prozessen in allen ehemals von den Nazis besetzten Ländern. Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg war zur Aburteilung der »Hauptkriegsverbrecher« errichtet worden, deren Verbrechen lokal nicht gebunden waren; alle anderen wurden an die Länder ausgeliefert, wo sie ihre Verbrechen begangen hatten. Nur die »Hauptkriegsverbrecher« hatten ohne territoriale Begrenzungen gehandelt, und Eichmann zählte gewiß nicht zu ihnen. (Dies – und nicht, wie oft behauptet worden ist, sein Verschwinden – war der Grund, weshalb er in Nürnberg nicht angeklagt worden war; Martin Bormann wurde z. B. in absentia angeklagt, gerichtet und zum Tode verurteilt.) Wenn Eichmanns Tätigkeit sich über ganz Europa erstreckte, so nicht, weil er in so hoher Position gewesen wäre, daß territoriale Begrenzungen ihn nicht betrafen, sondern weil es in der Natur seiner Aufgabe, der Zusammenfassung und Deportation aller Juden lag, daß er und seine Leute auf dem ganzen Kontinent zu tun hatten. Es war die territoriale Verstreutheit der Juden, durch die das Verbrechen an ihnen »internationale« Ausmaße in dem begrenzten, juristischen Sinne des Londoner Statuts annahm. Sowie die Juden einmal ein eigenes Territorium hatten, den Staat Israel, konnte man ihnen offenbar das Recht, über die an ihnen begangenen Verbrechen zu Gericht zu sitzen, eben sowenig abstreiten wie den Polen das Recht, über die in Polen begangenen Verbrechen zu richten. Alle Einwände, die gegen den Jerusalemer Prozeß auf Grund des Territorialprinzips vorgebracht wurden, waren extrem formalistisch, und obwohl das Gericht eine Anzahl von Sitzungen an die Diskussion dieser Einwände verwandte, waren sie eigentlich nicht von Bedeutung. Es gab nicht den leisesten Zweifel, daß die Juden als Juden ermordet worden waren, ungeachtet ihrer damaligen Staatsangehörigkeit, und obwohl die Nazis viele Juden ge tötet haben mögen, die es vorgezogen hätten, als Franzosen oder als Deutsche zu sterben, mußte selbst in diesen Fällen die Rechtsprechung die Absicht und den Vorsatz der Täter in Betracht ziehen.
Ebenso unbegründet war es, die jüdischen Richter der möglichen Befangenheit zu verdächtigen: Juden überhaupt und besonders Bürger des jüdischen Staates richteten in eigener Sache. Inwiefern unterschieden sich die jüdischen Richter in dieser Hinsicht von ihren Kollegen in den anderen Nachfolgeprozessen, wo polnische Richter Urteile fällten für Verbrechen gegen Polen oder tschechische Richter zu Gericht saßen über das, was in Prag und in Bratislava geschehen war? (Herrn Hausner blieb es vorbehalten, diesen törichten Einwand nachträglich unwissentlich zu stützen, als er in der »Saturday Evening Post« in einer Artikelserie erklärte, die Anklage sei sich von vorneherein darüber im klaren gewesen, daß Eichmann nicht von einem israelischen Anwalt verteidigt werden könne, weil dies zu einem Konflikt zwischen »Berufsethos« und »nationalen Gefühlen« geführt hätte. Nun, um solch einen Konflikt ging es in den Einwänden gegen ein jüdisches Gericht, und wenn Hausner mit Recht geltend machte, daß der Richter das Verbrechen hassen und trotzdem dem Verbrecher Gerechtigkeit widerfahren lassen könne, so war er sich offenbar nicht darüber im klaren, daß das gleiche für den Verteidiger zutrifft: der Anwalt eines Mörders verteidigt nicht den Mord. In Wahrheit lag die Sache natürlich so, daß man es in Israel offenbar nicht wagen konnte, einen Bürger des Landes mit der Verteidigung Eichmanns zu beauftragen.) Der Einwand schließlich, daß zur Zeit der Naziverbrechen der jüdische Staat noch nicht existiert habe, ist nun wirklich so formalistisch und wirklichkeitsfremd, steht auch in so offenbarem Widerspruch zu jedem natürlichen Rechtsgefühl – »achtzehn Völker sollen Strafhoheit über den Angeklagten wegen Ermordung der in ihren Gebieten wohnhaften Juden haben, aber dem Volk der Ermordeten soll die Strafhoheit nicht zustehen …!« –, daß man die Für und Wider in dieser Angelegenheit am liebsten unerörtert ließe. Im Sinne der Gerechtigkeit, die prozessualen Bedenken dieser Art immer überlegen bleiben muß, da sie ja das Hauptanliegen des Verfahrens ist, hätte der Gerichtshof seine Zuständigkeit nicht durch das passive Personalitätsprinzip – da die Opfer Juden waren, kam dem Gericht des Judenstaats Jurisdiktion zu – oder durch das Universalprinzip, das Eichmann als hostis generis humani den alten, für Piraten
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