Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
1937 und 1941 wurde er viermal befördert: innerhalb von 14 Monaten rückte er vom Untersturmführer zum Hauptsturmführer auf, und in weiteren anderthalb Jahren wurde er Obersturmbannführer. Das geschah im Oktober 1941, wenige Wochen, nachdem er seine Rolle in der »Endlösung der Judenfrage« zugewiesen bekommen hatte, die ihn schließlich vor das Jerusalemer Bezirksgericht bringen sollte. Und hier blieb er nun zu seinem großen Kummer hängen; so wie er die Sache nun ansah, war in der Abteilung, in der er arbeitete, keine diensthöhere Planstelle vorhanden gewesen. Doch dies dürfte ihm in den vier Jahren, in denen er rascher und höher hinaufgelangte, als er sich je hätte träumen lassen, kaum zum Bewußtsein gekommen sein. In Wien hatte er gezeigt, was in ihm steckte, nun wurde er anerkannt, und zwar nicht nur als Fachmann in der Judenfrage, in dem verwickelten Aufbau der jüdischen Organisationen und zionistischen Parteien, sondern als »Autorität« in Auswanderungsfragen und Evakuierungsproblemen, als »Meister«, der wußte, wie man Menschen hin- und herschiebt. Seinen größten Triumph erlebte er kurz nach der »Kristallnacht«, als die deutschen Juden nun wirklich um jeden Preis aus Deutschland herauszukommen suchten. Göring beschloß, vermutlich von Heydrich veranlaßt, in Berlin eine Reichszentrale für jüdische Auswanderung einzurichten, und in dem Schreiben, das die diesbezüglichen Anweisungen enthielt, wurde Eichmanns Wiener Behörde ausdrücklich als Modell genannt, nach dem man sich bei der Einrichtung einer zentralen Auswanderungsbehörde richten sollte. Zum Leiter des Berliner Büros wurde jedoch nicht Eichmann ernannt, sondern Heinrich Müller, den Heydrich entdeckt hatte und der später Eichmanns hochbewunderter Vorgesetzter wurde. Heydrich hatte Müller gerade aus seiner Stellung als bayrischer Polizeioffizier (er war nicht einmal Pg und bis 1933 sogar ein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus … s. J. C. Fest, S. 445) fort- und zur Gestapo nach Berlin geholt, weil er eine Autorität auf dem Gebiet des sowjetrussischen Polizeisystems war. Auch Müllers Karriere hat damals ihren eigentlichen Anfang genommen, obwohl ihm zunächst ein relativ unbedeutender Posten zugewiesen wurde. (Müller, kein Prahlhans wie Eichmann und für sein »sphinxhaftes Verhalten« bekannt, hat es übrigens fertiggebracht, ganz und gar zu verschwinden; niemand weiß etwas über seinen Aufenthalt, obwohl es Gerüchte gibt, daß das Zonenregime oder auch Albanien sich die Dienste dieses gründlichen Kenners totalitärer Polizeimethoden gesichert hätten.)
Im März 1939 rückte Hitler in die Tschechoslowakei ein und errichtete das deutsche Protektorat über Böhmen und Mähren. Eichmann wurde sofort damit beauftragt, in Prag eine weitere Auswanderungszentrale für Juden einzurichten.
»Nun, ich sträubte mich anfangs, aus Wien wegzugehen, wenn man so eine Dienststelle aufgezogen hat und wenn man gesehen hat, wie sie reibungslos und ordentlich abläuft, dann gibt man so eine Dienststelle an sich nicht gerne her.«
Prag war wirklich ein bißchen enttäuschend, obwohl das System das gleiche war wie in Wien, denn
»die Funktionäre der jüdischen Organisationen reisten nach Wien, die Funktionäre der jüdischen Organisationen in Wien reisten nach Prag, und so hatte ich mich überhaupt nicht einzuschalten, sondern es wurde einfach das Beispiel Wien kopiert und nach Prag gebracht. Dadurch alleine rollte die Sache schon leicht an, wenngleich ich auch sagen darf, daß Personen von der Durchschlagskraft eines Dr. Löwenherz in Prag bei weitem nicht vorhanden waren.«
Doch solche sozusagen persönlichen Gründe zur Unzufriedenheit zählten kaum im Vergleich mit den sich nun auftürmenden, ausschließlich objektiven Schwierigkeiten. Hunderttausende von Juden hatten innerhalb weniger Jahre ihre Heimat verlassen, und Millionen standen auf einer unsichtbaren Warteliste. Denn die Regierungen von Polen und Rumänien hatten in wiederholten offiziellen Verlautbarungen keinen Zweifel daran gelassen, daß auch sie ihre Juden los zu sein wünschten. Sie konnten nicht begreifen, warum sich die Welt darüber aufregte, wenn sie es »einer großen Kulturnation« gleichtun wollten. (Wie groß dieses Arsenal potentieller Flüchtlinge war, hatte sich auf der Evian-Konferenz gezeigt, die im Sommer 1938 einberufen worden war, um das Problem des deutschen Judentums in internationaler Zusammenarbeit zu lösen. Die Konferenz war ein
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