Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
eklatanter Fehlschlag und wirkte sich für die deutschen Juden verhängnisvoll aus.) Die Zufluchtsmöglichkeiten innerhalb Europas waren ohnehin längst erschöpft, aber jetzt hatten sich auch die Kanäle für die Auswanderung nach Übersee verstopft, so daß Eichmann, selbst wenn der Krieg sein Programm nicht über den Haufen geworfen hätte, wohl kaum imstande gewesen wäre, das »Wiener Wunder« in Prag zu wiederholen.
All dies war ihm keineswegs unbekannt, er kannte sich in Auswanderungsfragen aus, und man konnte daher nicht gut von ihm erwarten, daß er die Versetzung nach Prag begeistert begrüßen würde. Im September 1939 war der Krieg ausgebrochen, und einen Monat später wurde Eichmann nach Berlin zurückgerufen, um Müller als Chef der Reichszentrale für Jüdische Auswanderung nachzufolgen. Ein Jahr zuvor wäre das eine echte Beförderung gewesen, aber in diesem Moment kam sie einer Kaltstellung gleich. Kein normaler Mensch konnte unter den damaligen Umständen meinen, die Judenfrage sei auf dem Wege forcierter Auswanderung zu lösen: ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, in Kriegszeiten Menschen aus einem Land ins andere zu bringen, hatte ja das Reich durch die Eroberung und Teilung Polens zwei bis zweieinhalb Millionen zusätzlicher Juden ›hinzuerworben‹. Zwar war die Hitlerregierung immer noch willens, Juden gehen zu lassen (der Befehl, durch den alle jüdische Auswanderung verboten wurde, kam erst zwei Jahre später, im Herbst 1941), und falls die Entscheidung zu einer »Endlösung« bereits damals getroffen worden sein sollte, so existierte doch noch kein derartiger Befehl, obwohl die Juden im Osten bereits von den Einsatzgruppen liquidiert und in Gettos konzentriert wurden. Es war nur natürlich, daß die Auswanderung, wie raffiniert sie in Berlin auch nach dem bewährten »Fließbandprinzip« eingerichtet sein mochte, zum Stillstand kam – ein Prozeß, den Eichmann mit folgenden Worten beschrieb:
»Es war ein Hängen und Würgen, Tendenz lustlos möchte ich sagen, beiderseits. Jüdischerseits, weil es wirklich schwer war, etwas Nennenswertes an Auswanderungsmöglichkeit zu bekommen. Unsererseits, weil kein Betrieb und kein Parteiverkehr da war. Es war ein großes gewaltiges Haus und eine gähnende Leere.«
Wenn die Judenfrage im Dritten Reich einschließlich der im Kriege eroberten und besetzten Gebiete weiterhin durch individuelle, wenn auch noch so forcierte Auswanderung gelöst werden sollte, dann war klar, daß der Fachmann in dieser Frage sehr schnell arbeitslos sein würde.
V Lösung der Judenfrage:
Zweite Phase – Konzentration
Offen und unverhüllt totalitär, offen und unverhüllt verbrecherisch wurde das Naziregime erst mit dem Ausbruch des Krieges. In organisatorischer Hinsicht war einer der wichtigsten Schritte in dieser Richtung ein von Himmler unterzeichneter Erlaß, der die Fusion des Sicherheitsdienstes der SS, dem Eichmann seit 1934 angehörte, eines Parteiorgans also, mit der regulären Sicherheitspolizei des Staates einschließlich der Gestapo vollzog. Als Resultat dieser Verschmelzung entstand das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zunächst unter Heydrichs Leitung und nach Heydrichs Tod im Jahre 1942 unter der Leitung von Eichmanns altem Bekannten aus Linz, Dr. Ernst Kaltenbrunner. Alle Polizeibeamten, nicht nur die der Gestapo, sondern auch die Beamten der Kriminal- und der Ordnungspolizei erhielten jetzt den ihrem früheren Polizeidienstgrad angeglichenen SS-Rang, ganz gleich, ob sie Parteimitglieder waren oder nicht; sozusagen über Nacht wurde also ein überaus wichtiger Teil des alten staatlichen Beamtenapparats der radikalsten Gliederung der Nazihierarchie einverleibt. Niemand hat, soweit ich unterrichtet bin, dagegen protestiert oder um seine Entlassung ersucht. (Himmler, der Führer und Gründer der SS, war zwar schon seit 1936 zugleich auch Chef der Deutschen Polizei gewesen, doch waren die beiden Apparate bisher voneinander getrennt geblieben.) Das RSHA war eines der zwölf SS-Hauptämter, von denen wir nur die in unserem Zusammenhang wichtigsten nennen, das für die Festnahme von Juden verantwortliche Hauptamt Ordnungspolizei unter General Kurt Daluege und das Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt (WVHA) unter Oswald Pohl, das für die Konzentrationslager und später für die »wirtschaftliche« Seite der Massenvernichtung zuständig war.
Diese »objektive« Betrachtungsweise – für Konzentrationslager Fachausdrücke der »Wirtschaft« zu verwenden – war
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