Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
den Kollektivfarmen erzählt und ihn sogar zweimal zum Essen eingeladen hatte, denn bei diesem Besuch war für ihn eine Einladung nach Palästina herausgekommen – die Juden wollten ihm ihr Land zeigen. Er war begeistert; kein anderer Nazifunktionär seines Ranges hatte je eine Reise »in so ein fernes Ausland« machen können, für die er dann auch die Genehmigung bekam. Hieraus zog das Urteil den Schluß, daß es sich um einen »Spionageauftrag« gehandelt habe, was zweifellos stimmte, aber nicht der Geschichte widersprach, die Eichmann im Polizeiverhör erzählt hatte. Bei dem Unternehmen kam übrigens nichts oder so gut wie nichts heraus. Eichmann erschien mit einem Journalisten aus seinem Amt, einem gewissen Herbert Hagen, und hatte gerade Zeit, in Haifa auf den Berg Karmel zu steigen, danach schoben die britischen Behörden die beiden nach Ägypten ab und verweigerten ihnen die Einreisegenehmigung nach Palästina. Eichmann zufolge ist »der Mann von der Haganah« (das war die jüdische Kampforganisation, die später zum Kern der israelischen Armee wurde) dann zu ihnen nach Kairo gekommen, und was er ihnen dort mitteilte, bildete den Gegenstand eines, wie Eichmann zugeben mußte, leider »durch und durch negativen Berichts«, den die beiden auf höhere Anordnung für Propagandazwecke verfaßten und der dann entsprechend veröffentlicht wurde.
Abgesehen von derartigen bescheidenen Triumphen, fielen Eichmann nur seine eigenen Gefühle und Stimmungen ein und die Redensarten, die er sich jeweils für sie zurechtgelegt hatte; die Reise nach Ägypten hatte 1937 stattgefunden, also vor seiner Wiener Tätigkeit, und er hatte sie in bester Erinnerung. Aus Wien wiederum besann er sich nur auf die allgemeine Atmosphäre und seine »erhebenden Gefühle«. Angesichts dieser erstaunlichen Virtuosität, an Stimmungen samt dazugehörigen Phrasen ein für allemal festzuhalten, auch dann noch, wenn sie für eine spätere Periode, die ihrerseits ganz andere Stimmungen und unterschiedliche »erhebende« Phrasen erforderte, partout nicht mehr paßten – und diese Virtuosität demonstrierte er im Verlauf des Polizeiverhörs immer aufs neue –, ist man versucht zu glauben, daß er es ganz ehrlich meinte, wenn er von der Wiener Zeit wie von einem Idyll sprach. Da seine Gedanken und Empfindungen bei seiner Launenhaftigkeit mit objektiven Tatbeständen ohnehin wenig zu tun hatten, mag man ihm diese subjektive Ehrlichkeit sogar noch angesichts der Tatsache zubilligen, daß sein Wiener Jahr – zwischen dem Frühjahr 1938 und dem März 1939 – bereits in eine Zeit fiel, in der das Naziregime seine »pro-zionistische« Haltung fallengelassen hatte. Auch gehörte es zum Wesen der Nazibewegung, daß sie mit jedem Monat radikaler wurde; zu den hervorstechendsten Merkmalen ihrer Mitglieder gehörte es dagegen, psychologisch immer ein beträchtliches Stück hinter der Bewegung zurückzubleiben; es fiel ihnen außerordentlich schwer, mit ihr Schritt zu halten – oder, wie Hitler es auszudrücken pflegte, »über ihren eigenen Schatten zu springen«.
Erheblich belastender als objektive Tatsachen war die Art und Weise, wie Eichmanns lückenhaftes Gedächtnis nun doch funktionierte. An bestimmte Juden aus Wien erinnerte er sich nämlich sehr genau – zum Beispiel an Dr. Löwenherz und an Kommerzienrat Storfer-, das waren aber nun gerade nicht jene Emissäre aus Palästina, die seine Geschichte hätten bestätigen können. Josef Löwenherz, der nach dem Krieg ein sehr interessantes Memorandum über seine Verhandlungen mit Eichmann geschrieben hat (eins der wenigen neuen Dokumente, die dieser Prozeß ans Tageslicht brachte – es wurde von Eichmann, dem Teile davon vorgelegt wurden, in allen wesentlichen Punkten als zutreffend bestätigt), war der erste jüdische Funktionär, der wirklich eine ganze jüdische Gemeinde so organisierte, daß die Nazibehörden sich ihrer als Institution bedienen konnten. Und er war einer der ganz, ganz wenigen, die einen Lohn für ihre Dienste ernten konnten – er durfte bis zum Ende des Krieges in Wien bleiben, von wo aus er nach England und dann nach den USA auswanderte. Er starb 1960, wenige Monate nach Eichmanns Gefangennahme, der sich übrigens noch sehr angelegentlich nach ihm erkundigte. Storfer war das Geschick, wie wir gesehen haben, weniger günstig, doch das war nun nicht Eichmanns Schuld. Storfer war an die Stelle der palästinensischen Emissäre getreten, die zu unabhängig geworden waren; Eichmann
Weitere Kostenlose Bücher