Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
typisch für die Mentalität der SS, auf die sich Eichmann noch während des Prozesses viel zugute tat. Durch ihre »Sachlichkeit« unterschied sich die SS von solchen ›Gefühlsduseln‹ wie Streicher, den Eichmann einen »unrealistischen Narren« nannte, sowie von gewissen »teutonisch germanisch mit Hörnern und Fellen bekleidet sich gebärenden [sic!] Parteigenossen«, die doch wirklich und wahrhaftig die Rassentheorien ernst nahmen. Eichmann war voller Bewunderung für Heydrich, weil dieser solchen Unsinn ganz und gar nicht schätzte (Goebbels soll dergleichen »innerhalb des Ministeriums während seiner zwölfjährigen Amtszeit in keinem Falle ›auch nur erwähnt« haben, vgl. Fest, S. 133), und ein Grund für seine Abneigung gegen Himmler lag darin, daß ausgerechnet der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei »selbst zumindest eine lange Zeit der Streicher-Stürmerschen Richtung [unterlag]«. Doch während des Jerusalemer Prozesses gebührte der Preis für »Sachlichkeit« nicht dem SS-Obersturmbannführer a. D., der auf der Anklagebank saß, sondern seinem Verteidiger, einem unbescholtenen Steuer- und Wirtschaftsanwalt aus Köln, der niemals der NSDAP angehört hatte, dafür aber dem Gericht eine Lektion in diesen Dingen erteilte, die wohl für jeden, der sie mitangehört hat, unvergeßlich ist. Dies war einer der wenigen großen Augenblicke im ganzen Prozeß: er ereignete sich während des kurzen mündlichen Plädoyers der Verteidigung, nach dem der Gerichtshof sich für vier Monate zurückzog, um das Urteil zu beraten und zu fällen. Servatius verteidigte den Angeklagten gegenüber den in Punkt IV der Anklageschrift gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und erklärte, Eichmann sei nicht verantwortlich für Sterilisationen und » andere medizinische Angelegenheiten , nämlich Gastötung, Skelettbeschaffung …«, woraufhin ihn Richter Halevi unterbrach: »Dr. Servatius, ich nehme an, daß Sie sich in Ihrem Ausdruck irrten, als Sie sagten, daß die Gasangelegenheit eine medizinische Angelegenheit sei.« Hierauf antwortete Servatius: »Sie ist insofern eine medizinische Angelegenheit, als sie von Medizinern vorbereitet ist, denn es geht ja um die Tötung, auch die Tötung ist eine medizinische Angelegenheit .« Und als wolle er sichergehen, daß die Richter in Jerusalem ja nicht vergäßen, wie Deutsche – gewöhnliche Deutsche, keine ehemaligen SS-Männer, keine alten Parteigenossen – auch heute noch über Handlungen denken, die man in an deren Ländern Mord nennt, wiederholte er diese Formulierung wörtlich in seinen »Anmerkungen zum Urteil in I. Instanz«, die er zur Revision des Falles beim obersten Gericht einreichte; dort sagte er wiederum, daß nicht Eichmann, sondern einer seiner Sachbearbeiter, Rolf Günther, »stets mit medizinischen Angelegenheiten befaßt war«. (Dr. Servatius ist mit »medizinischen Angelegenheiten« des Dritten Reiches wohlvertraut. Er hat in Nürnberg Dr. Karl Brandt verteidigt, Hitlers Leibarzt, der auch als Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen und als Leiter des Euthanasieprogramms fungierte.)
Während des Krieges waren die Hauptämter der SS organisatorisch in Ämter und diese Ämter in Referate und Sektionen unterteilt – das Reichssicherheitshauptamt bestand schließlich aus sieben Ämtern. Amt IV war die Gestapo, an deren Spitze der SS-Gruppenführer Heinrich Müller stand, der den entsprechenden Rang eines Generalmajors schon in der bayerischen Polizei innegehabt hatte; seine Aufgabe war »Gegner-Erforschung und -Bekämpfung«. Es gab zwei Kategorien von Gegnern oder »Staatsfeinden«, deren Behandlung zwei verschiedenen Referenten zugeteilt war; Referat IV-A befaßte sich mit »Gegnern«, die wegen Kommunismus, Sabotage, Liberalismus oder wegen Attentaten zu verfolgen waren, und Referat IV-B befaßte sich mit »Sekten«, mit Protestanten und Katholiken, mit Freimaurern und mit Juden. Jede Kategorie – mit Ausnahme derer für Freimaurer, die unbesetzt blieb – in diesen Referaten erhielt ihr eigenes Büro, das mit einer arabischen Ziffer bezeichnet wurde; so landete Eichmann schließlich – im Jahre 1941 – hinter einem Schreibtisch mit dem Amtszeichen IV-B-4 im RSHA. Da sich sein direkter Vorgesetzter, der Leiter von IV-B, als Null erwies, war sein eigentlicher Chef stets Heinrich Müller. Müllers Vorgesetzter war Heydrich und später Kaltenbrunner, die ihrerseits Himmlers Befehl unterstanden; Himmler empfing seine Befehle direkt
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