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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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von Hitler.
    Himmler herrschte außer über diese sieben Hauptämter auch noch über ein ganz anderes organisatorisches Gebilde, das ebenfalls bei der Durchführung der »Endlösung« eine entscheidende Rolle spielte. Dies waren die Höheren SS- und Polizeiführer, die in den besetzten Gebieten Befehlsgewalt hatten und nicht dem RSHA, sondern Himmler direkt unterstellt waren. (So sagte der ehemalige höhere SS- und Polizeiführer von dem Bach-Zelewski, der von 1941 bis 1943 in Rußland »Chef der Bandenkampfverbände« gewesen war, als Zeuge der Verteidigung aus, er habe »bis zum Kriegsende die Organisation des RSHA« nicht gekannt und noch in Nürnberg den Namen Eichmann für »fingiert« gehalten.) Sie waren im Rang stets höher als Eichmann und seine Mitarbeiter eingestuft. Anders war es mit den Einsatzgruppen, die dem Kommando von Heydrich als dem Chef des RSHA unterstanden – was natürlich nicht heißt, daß Abteilung IV-B-4 unbedingt etwas mit ihnen zu tun hatte, geschweige denn ihnen Befehle erteilen konnte. Auch die Kommandeure der Einsatzgruppen waren stets ranghöher als Eichmann. Technisch und organisatorisch war Eichmanns Stellung also nicht sehr bedeutend; sein Posten erwies sich nur deswegen als so entscheidend wichtig, weil die letztlich rein ideologisch bestimmte Kriegführung des Dritten Reiches der »Judenfrage« eine immer größere Bedeutung zumaß, bis sie schließlich in den Jahren der Niederlage, von 1943 an, wirklich phantastische Proportionen annahm. Zu diesem Zeitpunkt war Eichmanns Referat immer noch die einzige Stelle, die sich offiziell mit nichts anderem als dem »Gegner Judentum« befaßte – tatsächlich hatte er jedoch sein Monopol längst verloren, denn inzwischen waren alle Ämter und Organisationen in Staat und Partei, Wehrmacht und SS intensiv mit der »Lösung« dieses Problems beschäftigt. Selbst wenn wir nur den Polizeiapparat ins Auge fassen und alle anderen Behörden außer acht lassen, ergibt sich eine grotesk komplizierte Maschinerie, denn zu den Einsatzgruppen und dem Korps der Höheren SS- und Polizeiführer müssen die Kommandeure und Inspektoren der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes hinzugerechnet werden, die alle bereits der Dienststelle Eichmanns in gewisser Hinsicht Konkurrenz machten. Jede dieser Gruppen hatte ihre gesonderte Befehlsstruktur, die schließlich bei Himmler endete, untereinander aber waren sie gleichgestellt, und keiner, der in einer dieser Gruppen organisiert war, unterstand den Befehlen der höheren Ränge einer der anderen Gruppen. So war es für die Anklage in der Tat keineswegs einfach, sich in diesem Labyrinth von Parallelorganisationen zurechtzufinden – was sie jedesmal von neuem tun mußte, wenn sie Eichmann auf die Verantwortung für einen spezifischen Tatbestand festnageln wollte. (Hätte der Prozeß ein Jahr später stattgefunden, so wäre diese Aufgabe wesentlich erleichtert gewesen, denn Rau! Hilberg ist es in seinem Buch »The Destruction of the European Jews« gelungen, die erste klare Beschreibung dieser unglaublich komplizierten Zerstörungsmaschine vorzulegen.)
    Man muß ferner bedenken, daß all diese unerhört mächtigen Instanzen einander erbitterte Konkurrenz machten – was ihren Opfern gar nichts half, da ihr Ehrgeiz stets das gleiche Ziel verfolgte: so viele Juden wie möglich umzubringen. Dieser Geist des Wettbewerbs, der natürlich in jedem Mitglied eines dieser Mordkommandos eine besondere Loyalität für die eigene Truppe hervorrief, hatte den Krieg überdauert – nur funktioniert er jetzt im umgekehrten Sinne: jeder von ihnen »hält seine Dienststelle raus« auf Kosten aller anderen. So wenigstens erklärte es sich Eichmann, daß der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, ihn in seinen Aufzeichnungen gewisser Dinge beschuldigt hat, die er nie begangen haben will, schon weil er gar nicht in der Lage gewesen wäre, sie zu begehen. Ohne weiteres gab er zu, Höß habe ihm gewiß nicht aus persönlichen Gründen irgend etwas in die Schuhe schieben wollen, ihre Beziehungen seien freundschaftlicher Natur gewesen; er behauptete nur – freilich vergeblich –, daß Höß seine eigene Dienststelle, das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, entlasten und deshalb alle Schuld auf das RSHA habe abwälzen wollen. Ganz Ähnliches hatte sich bereits in Nürnberg abgespielt, wo die Angeklagten sich bekanntlich in gegenseitigen Anschuldigungen überboten, obwohl keiner von ihnen je die Schuld auf Hitler schob! Das

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