Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
haben. Die Brunnen in der ganzen Umgebung sind verseucht; es gibt Cholera, Ruhr und Typhus. Wenn ihr bohren werdet und Wasser findet, werdet ihr Wasser haben«.
Man sieht, alles »war gerade im schönsten Anlaufen«, wenn auch die SS einige der Juden aus diesem Paradies vertrieb und über die russische Grenze jagte und andere gescheit genug waren, aus eigenem Antrieb zu fliehen. Dann jedoch, beklagte sich Eichmann, »begann das große Quertreiben seitens Frank«, den zu informieren sie versäumt hatten, obwohl dies doch »sein« Territorium war:
»Frank lief sofort in Berlin Sturm. Es begann nunmehr ein gewaltiges Tauziehen. Frank wollte seine Judenfrage selbst lösen. Frank verwahrte sich dagegen, Juden in seinen Generalgouvernementsbereich zu bekommen. Diejenigen, die schon da waren, mußten sofort wieder verschwinden.«
Und sie verschwanden auch; einige wurden sogar in ihre Heimatorte zurückgeschickt – das war noch nie dagewesen und sollte auch nie wieder geschehen. In Wien vermerkte man in den Polizeiakten der zurückgekehrten Juden, sie seien »von der Umschulung zurückgekehrt« – ein merkwürdiger Rückfall in das Vokabular jener Zeit, in der die Bewegung den Zionismus begünstigt hatte.
Eichmanns Begierde, ein Stück Territorium für »seine« Juden zu beschaffen, läßt sich am besten im Rahmen seiner Karriere verstehen. Der Nisko-Plan wurde »geboren«, als es mit ihm rasch voranging, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß er damals davon träumte, es selbst bis zum »Generalgouverneur« oder zum »Protektor« eines »Judenstaats« zu bringen, nach den Vorbildern, die Hans Frank in Polen und Heydrich in der Tschechoslowakei boten. Das absolute Fiasko des ganzen Unternehmens muß ihn jedoch eines Besseren belehrt haben. Mit »privater« Initiative war es jedenfalls nicht zu schaffen. Und weil er und Stahlecker ja immerhin im Rahmen von Heydrichs Direktiven und mit dessen ausdrücklicher Billigung gehandelt hatten, muß ihn dieser einzigartige Rücktransport von Juden – unleugbar eine Schlappe für Polizei und SS, wenngleich eine vorübergehende – noch etwas anderes gelehrt haben, nämlich, daß die stetig wachsende Macht seiner eigenen Dienststelle keineswegs auf Allmacht hinauslief, daß die Ministerien und die anderen Parteigliederungen durchaus beabsichtigten, ihre eigene schrumpfende Macht mit allen Mitteln zu verteidigen.
Eichmanns zweiter Versuch, »festen Grund und Boden unter die Füße der Juden zu bekommen«, war das Madagaskar-Projekt. Der Plan, vier Millionen Juden aus Europa nach der französischen Insel vor der südöstlichen Küste Afrikas zu evakuieren – einer Insel mit einer eingeborenen Bevölkerung von 4 370 000 Menschen und einer Ausdehnung von 589 900qkm kargen Bodens –, war im Auswärtigen Amt entstanden und dann ans RSHA weitergeleitet worden; denn nach Ansicht von Dr. Martin Luther, der in der Wilhelmstraße alle Judenfragen bearbeitete, war das RSHA »die Dienststelle, die erfahrungsmäßig und technisch allein in der Lage ist, eine Judenevakuierung im Großen durchzuführen und die Überwachung der Evakuierten zu gewährleisten«. Der »Judenstaat« sollte dann einem unter der Jurisdiktion Himmlers stehenden Polizeigouverneur unterstellt werden. Das ganze Projekt hatte eine seltsame Vorgeschichte. Eichmann, der Madagaskar mit Uganda verwechselte, behauptete stets, daß sein »Traum« von dem »jüdischen Vorkämpfer der ›Judenstaatsidee‹ Theodor Herzl« selbst schon einmal geträumt worden sei. Und in der Tat war dieser Traum schon vorher geträumt worden, aber nicht von Herzl, sondern von der polnischen Regierung, die im Jahre 1937 eigens eine Kommission damit beauftragte, zu prüfen, ob man nicht die drei Millionen polnischer Juden nach Madagaskar verfrachten könne – die Antwort war, 15 000 Familien seien das höchste, wenn man sie nicht einfach umbringen wollte –, und etwas später von dem französischen Außenminister George Bonnet, allerdings in wesentlich bescheideneren Ausmaßen, da er, dem alten Rezept des französischen Antisemitismus folgend, die rund 200 000 ausländischen Juden Frankreichs in die französische Kolonie abschieben wollte; er beriet sich damals im Jahre 1938 sogar mit seinem deutschen Kollegen Ribbentrop über diese Angelegenheit.
Jedenfalls wurde Eichmann im Sommer 1940, als sein Auswanderungsbetrieb zum völligen Stillstand gekommen war, angewiesen, einen detaillierten Plan für die Evakuierung von vier Millionen Juden nach
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