Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
dennoch läßt sich sein mörderischer Eifer, so merkwürdig das klingen mag, nicht völlig trennen von der eigentümlichen Zweideutigkeit der Stimmen, die ihn dann und wann zum Einhalten mahnten. Dabei darf hier die sogenannte »innere Emigration« in Deutschland außer Betracht bleiben – alle jene, die im Dritten Reich Stellungen, und oft genug hohe Stellungen, innehatten und dann nach dem Kriege sich selbst und der Welt erklärten, sie seien jederzeit » innerlich Gegner des Regimes« gewesen. Nicht, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht, ist hier die Frage; entscheidend ist, daß es in der ganzen geheimnisverseuchten Atmosphäre des Hitlerregimes kein besser gehütetes Geheimnis gegeben hat als solche »innere Opposition«. Das war unter den Bedingungen des Naziterrors fast eine Selbstverständlichkeit; wie mir einmal ein sehr bekannter »innerer Emigrant«, der gewiß subjektiv aufrichtig war, versichert hat, mußten sie »nach außen« sogar nazistischer auftreten als gewöhnliche Nazis, um ihr Geheimnis zu wahren – was vielleicht erklärt, warum die wenigen uns bekannten Proteste gegen das Ausrottungsprogramm eher von alten Parteimitgliedern als von den Wehrmachtskommandeuren ausgingen. In Wahrheit gab es nur einen Weg, im Dritten Reich zu leben, ohne sich als Nazi zu betätigen, nämlich, überhaupt nicht in Erscheinung zu treten: sich aus dem öffentlichen Leben nach Möglichkeit ganz und gar fernzuhalten war die einzige Möglichkeit, in die Verbrechen nicht verstrickt zu werden, und dies Nichtteilnehmen war das einzige Kriterium, an dem wir heute Schuld und Schuldlosigkeit des einzelnen messen können, wie Otto Kirchheimer in seinem Buch »Political Justice« (1961) ausgeführt hat. Wenn der Ausdruck überhaupt einen Sinn haben soll, dann konnte »innerer Emigrant« nur sein, »wer fröstelnd und wie ausgestoßen aus dem eigenen Volke inmitten blindgläubiger, diesen Mann als einen Unfehlbaren vergötternder Massen gelebt hat«, wie Professor Jahrreiss es in seiner Erklärung im Namen der Gesamtverteidigung vor dem Nürnberger Tribunal darlegte. Denn Opposition war tatsächlich »absolut sinnlos«, wo Organisation unmöglich war. Gewiß, es gab Deutsche, die zwölf Jahre lang so »fröstelnd und ausgestoßen« gelebt haben, aber ihre Zahl war, an der Gesamtbevölkerung gemessen, klein, auch unter den Widerstandskämpfern. In den letzten Jahren ist das Schlagwort von der »inneren Emigration« (in sich selbst bereits zweideutig, weil es ebensogut ein Sich-Zurückziehen ins Innenleben bedeuten kann wie eine Verhaltensweise, die dem Emigrantenlehen in der Fremde entspricht) gänzlich zur Farce geworden. Eine so finstere Figur wie Dr. Otto Bradfisch, ehemaliges Mitglied einer Einsatzgruppe, der die Erschießung von mindestens 15 000 Menschen geleitet hat, erklärte in seinem ersten Prozeß im Jahre 1961 vor einem Münchner Gericht, er sei »innerlich« stets dagegen gewesen. Offenbar brauchte er den Tod von 15 000 Menschen, um sich äußerlich ein Alibi in den Augen der wirklichen Nazis zu verschaffen. (Des gleichen Arguments hatte sich, allerdings mit weniger Erfolg, der ehemalige Gauleiter des Warthegaus, Arthur Greiser, vor einem polnischen Gericht bedient: einzig seine »offizielle Seele« habe die Verbrechen ausgeführt, für die er schließlich 1946 gehängt wurde, seine »private Seele« sei stets dagegen gewesen.)
Eichmann mag niemals einem wirklichen »inneren Emigranten« begegnet sein, aber er muß viele jener zahlreichen Beamten gekannt haben, die heute aus keinem anderen Grunde in ihren Ämtern geblieben sein wollen, als um »Schlimmeres zu verhüten«, um die Dinge zu »mildern« und um zu verhindern, daß »echte Nazis« in ihre Stellungen einrücken. Ein Musterbeispiel hierfür ist der bereits erwähnte Fall des Staatssekretärs a. D. Dr. Hans Globke, der von 1953 bis 1963 Leiter des Bundeskanzleramts war. Da kein anderer Beamter in vergleichbarem Rang während des Eichmann-Prozesses erwähnt wurde, wollen wir einen kurzen Blick auf Dr. Globkes »mildernde« Tätigkeit werfen. Vor Hitlers Machtergreifung gehörte er zum Preußischen Innenministerium und legte dort ein merkwürdig rechtzeitiges Interesse für die jüdische Frage an den Tag. Er arbeitete im November 1932 die Vorschläge aus, die zum erstenmal bei Anträgen auf Namensänderung »die zum Nachweis der arischen Abstammung erforderlichen Urkunden« verlangten, und er ist der Verfasser der im Dezember 1932 (als Hitlers
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