Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Tag aktiv im Reitsport [betätigte]«. Vor 30 Jahren war das noch ein exklusiver Sport der europäischen Oberschicht. 1934 habe ihm dann sein Reitlehrer zugeredet, in die Reiter-SS einzutreten, damals genau das richtige, wenn man der »Bewegung« unter gebührender Berücksichtigung der gesellschaftlichen Stellung beitreten wollte. (Ein möglicher Grund, weshalb Becher von seiner Reiterei soviel Aufhebens machte, wurde nie erwähnt: Das Nürnberger Tribunal hatte die Reiter-SS von der Liste verbrecherischer Organisationen ausgenommen.) Der Krieg fand Becher an der Front im aktiven Dienst, nicht als Wehrmachtsangehörigen, sondern in der Waffen-SS, wo er als Verbindungsoffizier zu den Wehrmachtsstäben fungierte. Von der Front entfernte er sich bald und leitete den Pferdeeinkauf für das SS-Personalamt, in welcher Eigenschaft er fast alle Auszeichnungen erntete, die damals erhältlich waren.
Becher behauptete, er sei nur zum Einkauf von 20 000 Pferden für die SS nach Ungarn geschickt worden; das klingt nicht sehr überzeugend, denn sofort nach seiner Ankunft eröffnete er eine Reihe sehr erfolgreicher Verhandlungen mit den Leitern großer jüdischer Betriebe. Seine Beziehungen zu Himmler, den er nach Belieben aufsuchen konnte, waren ausgezeichnet. Der Zweck von Bechers »Sondermission« war sonnenklar. Er sollte sich hinter dem Rücken der ungarischen Regierung die Kontrolle über die größeren jüdischen Unternehmen verschaffen und den Besitzern als Gegenleistung freie Ausreise aus dem Land sowie eine ansehnliche Summe in ausländischer Währung garantieren. Seine wichtigste Transaktion betraf den Manfred-Weiss-Konzern, ein Mammutunternehmen mit 30 000 Arbeitern, das von Flugzeugen, Lastwagen und Fahrrädern bis zu Konservendosen, Stecknadeln und Nähnadeln so ungefähr alles herstellte, wozu Stahl benötigt wurde. Als Ergebnis emigrierten 45 Mitglieder der Familie Weiss nach Portugal, während Herr Becher Leiter ihres Unternehmens wurde. Als Eichmann von dieser »Schweinerei« erfuhr, tobte er; das Geschäft drohte seine guten Beziehungen zu den Ungarn zu verderben, die natürlich erwarteten, das auf ihrem Boden beschlagnahmte jüdische Vermögen selbst in Besitz zu nehmen. Er hatte einigen Grund, sich zu ärgern, da diese Geschäfte im Gegensatz zu der regulären Nazipolitik standen, die in dieser Hinsicht stets recht großzügig gewesen war. Für ihre Hilfe bei der Lösung der Judenfrage hatten die Deutschen noch in keinem Land Beteiligung an dem Besitz der Juden verlangt, nur die Kosten für Deportation und Ausrottung ließen sie sich bezahlen, die sie von Land zu Land sehr verschieden ansetzten, je nach Zahlungsfähigkeit – von den Slowaken verlangte man zwischen 300 und 500 Reichsmark pro Jude, von den Kroaten nur 30, die Franzosen mußten 700 und die Belgier 250 Reichsmark bezahlen. (Es scheint, daß außer den Kroaten niemand je bezahlt hat.) In Ungarn forderten die Deutschen in dieser späten Phase des Krieges Bezahlung in Waren – die Lieferung von Lebensmitteln nach dem Reich in Quantitäten, die auf der Basis des Verbrauchs der deportierten Juden errechnet wurden.
Aber die Weiss-Affäre war nur ein Anfang, und die Dinge sollten, von Eichmanns Gesichtspunkt aus, noch viel schlimmer werden. Becher war ein geborener Geschäftsmann, und wo Eichmann nur ungeheure Organisations- und Verwaltungsaufgaben erblickte, sah jener fast unbegrenzte Möglichkeiten zum Geldverdienen. Nur die Borniertheit subalterner Kreaturen wie Eichmann, die ihre Arbeit ernst nahmen, stand ihm dabei im Wege. Obersturmbannführer Bechers Projekte brachten ihn bald in engen Kontakt mit den Rettungsaktionen Dr. Rudolf Kastners. Später, in Nürnberg, verdankte Becher den Aussagen Kastners seine Freilassung. (Kastner war nach dem Krieg als alter Zionist nach Israel übergesiedelt, wo er eine hohe Position innehatte, bis ein Journalist von seiner Zusammenarbeit mit der SS berichtete, woraufhin er auf Verleumdung klagte. Seine Zeugenaussage in Nürnberg belastete ihn schwer, und als der Fall vor das Jerusalemer Bezirksgericht kam, das unter Vorsitz von Benjamin Halevi, einem der drei Richter im Eichmann-Prozeß, tagte, entschied Richter Halevi, Kastner habe »seine Seele dem Teufel verkauft«. Im März 1957, kurz bevor der Fall zur Revision vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden sollte, wurde Kastner ermordet; keiner der Mörder, scheint es, stammte aus Ungarn. In der nachfolgenden Verhandlung wurde das Urteil der niederen
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