Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
gewesen sein, daß das Urteil Eichmann eine so große »Enttäuschung« bereitete; er hatte Menschlichkeit mit Milde verwechselt.) Es ist vielleicht ein Beweis für die »Güte« dieser drei Männer, für ihren ungebrochenen und ein wenig altmodischen Glauben an die moralischen Grundlagen ihres Berufs, daß sie Eichmann niemals ganz verstanden haben. Denn die traurige und beunruhigende Wahrheit war vermutlich, daß nicht sein Fanatismus Eichmann zu seinem kompromißlosen Verhalten im letzten Kriegsjahr getrieben hat, sondern sein Gewissen, das ihn drei Jahre zuvor für eine kurze Zeitspanne in die umgekehrte Richtung gedrängt hatte. Eichmann wußte, daß Himmlers Anordnungen dem Führerbefehl direkt zuwiderliefen. Um das zu wissen, brauchte er keine konkreten Details zu kennen, obwohl solche Details ihm sogar recht gegeben hätten: wie die Anklage in dem Revisionsverfahren vor dem Obersten Gericht betonte, war »Himmlers Stellung in Hitlers Augen vollkommen unterhöhlt«, nachdem Hitler durch Kaltenbrunner von den Verhandlungen erfahren hatte, die über den Austausch von Juden gegen Lastwagen stattfanden. Und nur einige Wochen ehe Himmler die Vernichtungsaktion in Auschwitz zum Stillstand brachte, hatte Hitler, der offensichtlich von Himmlers neuesten Plänen keine Ahnung hatte, ein Ultimatum an Horthy geschickt des Inhalts, daß »der Führer erwarte, daß nunmehr ohne jedes weitere Verzögern die Maßnahmen gegen die Budapester Juden von der Ungarischen Regierung durchgeführt werden«. Als in Budapest Himmlers Befehl eintraf, die Evakuierung der ungarischen Juden zu beenden, hat Eichmann – wie man einem Telegramm von Veesenmayer entnehmen kann – gedroht, »gegebenenfalls um erneuten Führerentscheid zu bitten«, und dieses Telegramm Eichmanns »spricht«, wie es in der Urteilsbegründung hieß, »mehr gegen ihn als hundert Zeugen«.
Eichmann verlor seinen Kampf gegen den »gemäßigten Flügel«, an dessen Spitze der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei selber stand. Als erstes Anzeichen seiner Niederlage mußte er im Januar 1945 erleben, daß der Obersturmbannführer Kurt Becher zum Standartenführer befördert wurde, zu dem Rang also, den sich Eichmann den ganzen Krieg hindurch erträumt hatte. (Seine Geschichte, daß in seiner Dienststelle kein höherer Rang eingeplant war, stimmte nur halb; er hätte zum Chef der Sektion IV-B ernannt werden können, anstatt an dem Platz IV-B-4 klebenzubleiben, und wäre damit automatisch befördert worden. Wahrscheinlich hat man eben Leute wie Eichmann, die aus den Mannschaftsgraden kamen, niemals über den Rang eines Oberstleutnants aufsteigen lassen, es sei denn im Fronteinsatz.) Im selben Monat wurde Ungarn befreit, und Eichmann wurde nach Berlin beordert. Dort hatte Himmler seinen Feind Becher zum Reichssonderkommissar ernannt, der alle Konzentrationslager unter sich hatte, und Eichmann wurde von dem Ressort für »Judenangelegenheiten« zu dem absolut bedeutungslosen Amt für Kirchenbekämpfung versetzt, für das er obendrein gar keine Kenntnisse mitbrachte. Das Tempo seines Absinkens während der letzten Kriegsmonate ist ein höchst aufschlußreiches Zeichen dafür, wie recht Hitler hatte, als er im April 1945 im Bunker der Reichskanzlei erklärte, die SS sei nicht mehr zuverlässig.
In Jerusalem mit dokumentarischen Beweisen für seine außerordentliche Treue gegenüber Hitler und dem ominösen Führerbefehl konfrontiert, suchte Eichmann mehrfach darzulegen, daß im Dritten Reich »Führerworte Gesetzeskraft hatten«, was unter anderem hieß, daß ein Befehl, der direkt von Hitler kam, nicht schriftlich fixiert zu sein brauchte. Er suchte zu erklären, daß er aus ebendiesem Grunde niemals nach einem schriftlichen Befehl Hitlers gefragt habe (kein Dokument über den Führerbefehl zur »Endlösung« ist je gefunden worden: wahrscheinlich hat nie eins existiert), von Himmler jedoch habe er schriftliche Befehle zu sehen verlangt. Das waren allerdings phantastische Zustände, und es sind ganze Bibliotheken höchst »gelehrter« juristischer Kommentare hierüber verfaßt worden, welche sämtlich darlegen, daß des Führers Worte , seine mündlichen Verlautbarungen, das Grundgesetz des Staates waren. Innerhalb dieses »gesetzlichen« Rahmens war jeder Befehl und jede Anordnung, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach im Gegensatz zu einem von Hitler gesprochenen Worte stand, definitionsgemäß ungesetzlich. Eichmanns Lage wies deshalb eine höchst beunruhigende
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